Fast zu viel des Guten

Das Stock Resort im Zillertal ist einzigartig: So viel Familienorientierung, Wellness-Fokus und 5-Sterne-Komfort unter einem Dach vereint, sucht man jenseits der einschlägigen Kettenhotels in den Alpen lange.

Familiengeführte Hotels werden immer seltener. Vielleicht ändert sich das nach Corona wieder. Wünschenswert wäre es, denn jedes unabhängige, aus echter Hoteliers-Leidenschaft geführte Hotel hilft, die Welt der Hotellerie abwechslungsreich und spannend zu halten. Und so ist mein Anspruch an ein familiengeführtes Hotel, dass es sich positiv von Kettenhotels abhebt.

Schon auf den ersten Blick besticht das Stock Resort mit seiner einzigartigen Lage und ist schon aus diesem Grund ein lohnenswertes Übernachtungsziel: Kein anderes Hotel der Region sitzt so elegant in der Bergkulisse des Zillertals – seit 1976 steht es hier, wenn auch nicht in dieser Form. Als der Wintersportler Josef Stock und seine Frau Barbara ihr Restaurant Bratpfandl 1983 um ein Sporthotel erweiterten, waren sie in diesem Segment noch Pioniere – vom Wellness-Schwerpunkt, dessen Grundstein sie damals legten, ganz zu schweigen. Seitdem hat das Hotel auch in der Branche viele Trends gesetzt. Aber wie individuell und einzigartig ist die Gasterfahrung?

1 Konzept

Seit einem umfangreichen Um- und Ausbau 2012 ist das Resort offiziell ein 5-Sterne-Hotel. Unter den 110 Zimmern befinden sich 12 Familien-Suiten – familienfreundlich ist das gesamte Anwesen. Neben dem Wellnessbereich gibt es auch eine große Terrasse mit beheiztem Pool, eine Sporthalle und Seminarräume. Für ein Familienresort sprechen Ausstattung und die darauf abgestimmten Serviceleistungen – von den großzügigen Familien-Suiten über einen Aqua-Fun-Park bis hin zu Betreuungsmöglichkeiten, ist ein breites Spektrum geboten.

Manchen 5-Sterne-Gast, der aufgrund des guten Rufs des Wellnessbereichs anreist, mag die konzeptionelle Dopplung irritieren: Kinderfreundlichkeit und Wellness-Retreat sind zwei Eigenschaften eines Hotels, die sich nicht immer gut vertragen. Das Hotel geht professionell mit dieser Herausforderung um, Familienmenschen sind hier genau richtig. Eine einsame Berghütte, in die man sich zur stillen Kontemplation zurückzieht, ist das Stock Resort nicht.

2 Ausstattung

Die Ausstattung und Einrichtung des Stock Resorts profitiert von seiner Lagemitten in den Bergen: Hier ist Platz, das spüre ich an allen Ecken und Enden. Für jedes Nutzungsszenario gibt es einen Raum: eine Sporthalle zum Kicken und einen Box-Fit-Club, ein Erlebnisbad nur für die Kinder weit weg vom Erwachsenen-Pool auf der Terrasse, mehrere Shops, weitläufige Gastronomie und großzügige Zimmer, die auch in einem 5-Sterne-Hotel nicht selbstverständlich sind.

Mir hat es besonders das rund 200 Quadratmeter große Fitnessstudio samt Außenterrasse angetan. Hier sind alle erdenklichen Geräte im Überfluss vorhanden, und alles ist auf dem neuesten Stand der Technik – ebenso wie der Bademantel-Wärmer im Wellness-Bereich. Das ist eine kleine Idee, die einen großen Unterschied macht. Ich bin beeindruckt! Ebenfalls beeindruckend ist die Konsequenz, mit der alles in diesem Hotel auf die Markenerfahrung einzahlt. Soviel Branding wie im Stock Resort habe ich in keinem Hotel erlebt. Von eigenem Wein und Raumduft bis hin zur Kunst an den Wänden kann man hier wirklich alles kaufen.

Unternehmerisch ist das nachvollziehbar, aus Gastsicht Geschmackssache. Für mich persönlich geht eine starke Markenidentität in Ordnung. Zuviel wird es mir dagegen sehr schnell, dass ich bei jeder Gelegenheit mit Coupons und Angebotsflyern konfrontiert werde. Was soll ich mit dem ganzen Zettelkram? Das geht auch eleganter.

3 Service

Der Service ist die größte Stärke des Stock Resorts. Hier profitiert jeder Gast von der Leidenschaft, die ein familiengeführtes Hotel trägt: Jeder versteht sich als Gastgeber, jeder geht aus freien Stücken die Extrameile. Das macht den Service ebenso herzlich wie professionell – ein großer Vorteil gegenüber der Konkurrenz.

Es ist eine reine Freude, wie mir jeder Wunsch in Windeseile erfüllt wird. Ich finde den Tee lecker und will mehr davon – im Nu bekomme ich ihn geliefert. Das Bitte-nicht-stören-Schild in meinem Zimmer fehlt – nach kürzester Zeit wird mir eines gebracht. Das nervige Hinterherlaufen, das manchen Hotelaufenthalt zum Geduldsspiel macht, bleibt mir hier erspart.

Dass die Service-Haltung in einem Hotel stimmt, merkt man oft gerade dann, wenn etwas mal nicht auf Anhieb perfekt funktioniert. Denn dann kommt es darauf an, dass die Mitarbeiter das auf der Beziehungsebene von Mensch zu Mensch abfangen. Die Besten drehen so einen vermeintlichen Nachteil ganz elegant zu einem Vorteil. Genau das gelingt dem ausgezeichneten Barkeeper, als er mich zum zweiten Mal empfängt: „Ach, jetzt helfen Sie mir doch bitte geschwind mit Ihrem Namen auf die Sprünge, der ist mir leider gerade entfallen“. Ein kleiner Fauxpas an einem ganz wichtigen Punkt in der Gasterfahrung, nicht überspielt, sondern transparent und charmant gelöst: Genau das zeichnet einen echten Gastgeber aus.

Ein weiteres Service-Highlight erlebe ich beim Yoga. Meine Lehrerin Tiffany ist seit 25 Jahren im Stock Resort tätig; erst als Masseurin, dann als Sport-Trainerin und heute als Yoga Instructor. Und was für eine: Sie entpuppt sich als die beste Yoga-Lehrerin, die ich, abgesehen von meinem Lieblings-Yogi auf Bali, je erlebt habe. Tiffany ist achtsam, fachlich souverän und voller Leben. Solche Mitarbeiter sind für jedes Hotel ein echtes Asset.

 

Einziges größeres Manko im Service bei meinem Aufenthalt: Aufgrund des etwas hektischen und zu sehr prozessorientierten Check-ins war es eher Liebe auf den zweiten Blick. Aber die soll ja bekanntlich länger halten.

4 Gastronomie

Die guten Nachrichten zuerst: Auch in der Gastronomie geht es im Großen und Ganzen großzügig zu. Das Restaurant, in dem auch das Frühstück stattfindet, ist weitläufig bemessen, die elegante Bar hervorragend ausgestattet.

Wie überall im Hotel ist auch bei Speisen und Getränken die Auswahl absolut bestechend: Soviel Auswahl sucht man selbst in manchem namhaften Kettenhotel oft vergebens. Das zeigt sich zum Beispiel beim Frühstück, und da besonders bei den Kleinigkeiten: Da steht gleich mal ein Dutzend Tees in guter Qualität zur Auswahl statt den üblichen drei, vier Sorten. Statt der Pseudo-Wahlmöglichkeit Zucker oder Süßstoff gibt es hier weißen Zucker, braunen Zucker und auch weißen und braunen Kandis, Honig und ja, auch Süßstoff natürlich.

Weniger Freude macht mir, dass eine Flasche Vöslauer Mineralwasser (0,75 l) auf dem Zimmer mal eben 8 Euro kostet – das ist nicht mehr verhältnismäßig. Wenig elegant auch die Warnung, mit der die Kaffeekapseln versehen sind: „Lieber Gast, es werden nur gebrauchte Kapseln nachgefüllt. Wenn Sie die Kapseln unverbraucht mitnehmen, behalten wir uns vor, diese zu verrechnen.“ Unrühmliche Ausnahmen mal außen vor: Muss sich ein 5-Sterne-Hotelgast wirklich als potenzieller Kapseldieb behandeln lassen? Hier stößt man wegen zwei, drei Prozent der Hotelgäste, die die Großzügigkeit in Kleinigkeiten ausnutzen, die unbescholtenen 97 Prozent vor den Kopf – kein kluger Schachzug im Luxussegment.

Fazit

Über Lage, Ausstattung und Service des Stock Resorts im Zillertal gibt es fast nur Gutes zu berichten. Umso ärgerlicher sind die kleinen Irritationen, die meine Gasterfahrung noch trüben: die an einigen Stellen aufdringliche Verkaufsmasche, viel zu hohe Preise für manche Lebensmittel und den kleinlichen Umgang mit Verbrauchsgütern. Solche unnötigen Kleinigkeiten wirken sich nämlich negativ auf das ansonsten stimmige Preis-Leistungsverhältnis aus. Hier haben sich die Stocks dann doch ein bisschen zu viel von der Konkurrenz der Kettenhotels abgeschaut, die sie eigentlich in keiner Weise fürchten müssen. Ich würde mir wünschen, dass die ansonsten wirklich großzügige Haltung, in allen Belangen konsequent durchgezogen würde. Denn viel mehr fehlt mir hier, an diesem malerischen Fleckchen im Zillertal, nicht zum Glück: Das Stock Resort ist ein hervorragendes Hotel, das seine fünf Sterne und seinen guten Ruf unter Familienurlaubern völlig zu Recht trägt.


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