Erlebnis-Manufaktur oder Fließband-Service?

In manchen Unternehmen ist der Gast eine durchlaufende Nummer, und der Service wird nach Schablone gemacht. In anderen ist das Kundenerlebnis genauso ein Unikat wie der Kunde selbst. Noch funktionieren beide, doch nur eines macht Kunden zu Fans – und das Unternehmen zukunftsfähig. Wie werden Sie sich entscheiden?  

Es gibt zwei Arten der Dienstleistung: eine, die Kunden wie Nummern auf einer Liste abhakt und von den Kunden ebenso abgehakt wird – als mittelmäßig. Und dann gibt es individuellen, herzlichen Service, der für Kundenbegeisterung sorgt – und Menschen als Fans wiederkommen lässt. Beide Modelle können (noch) funktionieren, wenn sie sich an den tatsächlichen Kundenbedürfnissen orientieren. Erfolg hat ein Unternehmen, wenn Kundenerwartung und Service-Haltung zusammenpassen. Leider ist das nicht immer der Fall.

Professionalität ohne Herzlichkeit ist Arroganz

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Meine ersten Schritte auf dem langen Weg zur Service Excellence habe ich in einem Durchlauferhitzer der gästeverarbeitenden Industrie gemacht. In einem Schwarzwälder Gasthof, bei den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen. Mein Ausbilder dort war der reinste Napoleon: genauso groß, genauso selbstherrlich und genauso arrogant. Herzlichkeit, Individualität, Kundenbegeisterung waren für diesen Mann Fremdworte. Professionalität ohne Herzlichkeit ist Arroganz. Und dieser Ausbilder war, genau wie unser gemeinsamer Arbeitsplatz – hochprofessionell.

Und das aus gutem Grund. Das Konzept dieses Gasthofs war konsequent. Das Gros der Gäste bestand aus Gruppen von deutschen, amerikanischen oder japanischen Pauschaltouristen auf Sightseeing-Tour durchs Kitsch-Wunderland. Das, wofür diese Menschen kamen, konnte mein Ausbildungsbetrieb richtig gut.

Dieser Gasthof war eine Produktionsanlage der gästeverarbeitenden Industrie: Fließband-Service nach Schablone. Mehrmals täglich kam eine Busladung Pauschaltouristen an. Bustür auf, Touristen raus. Gegenseitiges „Abschießen“ vor der Fachwerk-Fassade fürs Familienalbum, und dann rein ins Restaurant. Hier war das Domizil der Kellner und in ihren Polyester-Folkore-Uniformen mit Blümchenweste, und ich war einer davon. Bestellungen aufnehmen im Akkord, Flädlesuppe und Forelle auf den Tisch, Obstler hinterher, und schnell wieder raus mit den Gästen. Noch mal fünf Minuten Powershopping für Spätentschlossene.

Und dann zack, zack wieder runter auf den Parkplatz, rein in den Bus und Abfahrt. Auf Nimmerwiedersehen. Der nächste Bus wartete schon.

Zeit für ein Schwätzchen mit einem Gast? Für eine Frage oder einen Sonderwunsch? Nein, das wären nur Stöckchen im Getriebe gewesen. Alles, bloß nicht persönlich werden. Dafür hätte ich als Napoleons Azubi eins hinter die Ohren bekommen.

Individualisierung ist der neue Service-Standard

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Doch in diesem Gasthaus konnte man es sich leisten, so mit den Gästen umzugehen. Da ging es nicht darum, dass der Kunde wiederkommt. Sondern darum, dass er schnellstmöglich wieder geht. Die Pauschaltouristen in den Schwarzwälder Durchlauferhitzer-Gasthöfen sind Einmal-Kunden. Sie wollen einmal im Leben die volle Schwarzwald-Dröhnung, damit sie dieses Fleckchen auf ihrer Traveller’s-To-do-Liste abhaken können. Da ist die standardisierte Gästeverarbeitung mit maximalem Volumen aus unternehmerischer Sicht ein nachvollziehbares Geschäftsmodell. Besonders empathisch ist es allerdings nicht – und wahrscheinlich auch nicht zukunftsträchtig. Der digitale Kunde ist an Individualisierung gewöhnt.

Noch gibt es die Kunden, die sich das gefallen lassen. Noch können Sie auf diese Weise erfolgreich sein, wenn diese Haltung zu Ihrem Unternehmen und Ihrem Marktsegment passt. Doch die Ansprüche an Kundenbegeisterung wachsen in allen Segmenten kontinuierlich. Individualisierung ist im Service der neue Standard. Unserer Industrie hilft eine achtlose Haltung gegenüber dem Kunden also nicht, und langfristig wohl keinem Unternehmen.

Qualität ist der Abgleich zwischen Kundenerwartung und Kundenerlebnis

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Um anspruchsvolle Gäste zu binden, sind Aufmerksamkeit und persönliches Interesse inzwischen geradezu Pflicht. Viele Unternehmen lassen sich dafür einiges einfallen. Sie kümmern sich ganz persönlich um ihre Kunden und gehen die berühmte Extra-Meile, um den Service bestmöglich zu individualisieren.

Auch digital beobachten wir diesen Trend: Die Kunden mancher Mode-Versandhäuser etwa bekommen keine standardisierten Werbemails mehr. Stattdessen erhalten sie auf den eigenen Stil zugeschnittene Angebote. Oder sie lassen sich gleich fertige Outfits im Paket nach Hause schicken – natürlich mit handgeschriebener Grußkarte von ihrem „persönlichen“ Stylisten. Der individuelle Touch wird immer selbstverständlicher, der Event-Charakter für die Kundenbindung immer zentraler. Besondere Kunden wollen das besondere Erlebnis. Sie verlangen die persönliche Ansprache im Austausch für ihr wertvollstes Gut: ihre personenbezogenen Daten.

Ausgerechnet die Digitalisierung trägt also entscheidend dazu bei, dass Kunden nicht mehr nur eine Nummer sind – jedenfalls im Premium-Segment. Hier sind One-size-fits-all-Lösungen out und individuelle Maßnahmen der Kundenbindung alles. Bei Discount-Anbietern ist der Preis oft nach wie vor das wichtigste USP, und die Masse macht das Geschäft.

Alles ist Service – und ohne Service ist alles nichts

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Diese Entwicklung birgt zwei große Herausforderungen für den Service in jedem Unternehmen. Ganz gleich übrigens, ob es sich um ein Unternehmen der produzierenden Industrie oder einen Dienstleister handelt: Service ist in Zukunft das entscheidende Alleinstellungsmerkmal in jeder Branche.

Die erste Herausforderung ist die konsequente Entscheidung für eines von beiden Modellen: entweder Fließband-Service oder Erlebnis-Manufaktur. Angebot und Nachfrage müssen zusammenpassen – auch im Service. Die zweite Herausforderung besteht darin, diese Entscheidung konsequent durchzuziehen und auf jeden Touchpoint mit dem Kunden anzuwenden.

Kundenbegeisterung: Es geht immer um alles

Wenn Premium, dann richtig: Nichts enttäuscht mich als Kunde mehr, als wenn die persönliche Beziehung durch unpersönliche Maßnahmen unterwandert wird. Sobald der Verdacht aufkommt, dass ich eben doch in der kundenverarbeitenden Industrie gelandet bin, nimmt mein Vertrauen Schaden. Wenn ich zum Beispiel als Gast in einem Grand Hotel beim morgendlichen Gang in den Frühstücksraum nach meiner Zimmernummer gefragt werde, dann ist das eine Kriegserklärung. Dann bin ich nämlich doch nur eine Nummer auf einer Liste, die abgehakt wird. Und dann hake ich auch das Unternehmen ab. Im Kundenkontakt geht es immer um alles.

Werde ich dagegen an dieser Stelle beim ersten Kontakt des Tages mit meinem Namen und einem herzlichen Lächeln begrüßt, beginnt das Erlebnis Hotelaufenthalt schon morgens. Dann fühle ich mich wohl. Und wenn ich mich wohlfühle, komme ich wieder.

Service ist das neue Alleinstellungsmerkmal

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Service Excellence beruht auf einer persönlichen Beziehung zum Kunden, und Beziehungen machen Arbeit. Ein Unternehmen, das dazu nicht bereit ist, hat als Durchlauferhitzer möglicherweise die besseren Erfolgsaussichten – noch. Eines verzeiht der Kunde allerdings nie: Wenn er sich getäuscht fühlt. Eine Discounter-Mentalität mit einer Premium-Fassade zu kaschieren ist ein Vertrauensbruch am Kunden. Die Menschen spüren den Unterschied. Und sie vergessen nie. Service ist Beziehungsarbeit.

Ein Kunde mit hohem emotionalem Anspruch kann zum Fan werden, aber genauso auch zum Hater. Wer in Zukunft noch in der Champions League spielen will, wird mit den steigenden Ansprüchen mithalten wollen: Erfolgreich denkt man heute nicht in Geschäftsideen, sondern in Service-Ideen.

  • Service ist erfolgreich, wenn Angebot und Nachfrage zusammenpassen. Je individueller die Kunden, desto individueller der Service.
  • Um Kunden zu Fans zu machen ist nur eine Form von Service geeignet: individueller, herzlicher Service, der sich radikal am Kunden orientiert.
  • Die Entscheidung für Service Excellence trägt nur Früchte, wenn sie auf jeden Touchpoint mit dem Kunden angewendet wird.

Erlebnis-Manufaktur oder Fließband-Service: Wie werden Sie sich entscheiden?


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