Das unverwechselbare hanseatische Flair von Hamburg kann man entweder lieben, unterkühlt finden, oder man hat es noch gar nicht richtig entdeckt. Letzteres wäre schade, denn die unterschätzte Weltstadt Hamburg hat so viel zu bieten, wenn man hinter die Fassade des Understatements blickt. Meine Empfehlungen für einen unvergesslichen Tag in Hamburg – auch bei Schietwetter.
Einchecken im Tortue
Wer glaubt, dass hanseatische Lebensart und moderne Sinnlichkeit Widersprüche seien, den belehrt mein aktueller Favorit unter den Hamburger 5-Sterne-Häusern eines Besseren: Mit dem Tortue ist mitten im Zentrum das Savoir-vivre ausgebrochen. Das gleichzeitig modern und retro durchdesignte Hotel mit seinen 126 Zimmern, Brasserie und Restaurant bringt die Tradition des Flanierens zurück: Hier soll man ankommen, rauskommen, sich Zeit nehmen, das Leben genießen, sich dem Müßiggang hingeben – und alles immer schön mit der Ruhe.
Deshalb auch der Name, der übersetzt so viel bedeutet wie „Schildkröte“. Das Rathaus, der Michel, die Fleete und die Alsterarkaden liegen ums Eck und sind auch im Flaniertempo schnell erreicht. Das französische Motiv zieht sich durch das ganze Hotel einschließlich Gastronomie: wunderschöne französische Fliesen, die Lampen, der genussorientierte, sehr persönliche Service – hier wird die Kunst der Hotellerie mit ganz viel Liebe zum Detail praktiziert. Die alten französischen Bistro-Uniformen der Mitarbeiter machen schon das elegante Frühstück (für überraschend günstige 15 Euro) zum Erlebnis. Hier wird mir auch an kühlen Hamburger Tagen warm ums Herz! Alternativen zum Tortue mit typischer hanseatischem Charakter sind das extrem luxuriöse und elegante, aber auch sehr kühle und sündhaft teure Fontenay oder der Klassiker, das Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten, das vor allem mit der Jahreszeiten-Bar und dem japanisch-südamerikanischen Konzept Nikkei-Cuisine glänzt. Wer eher eine Budget-Bleibe sucht, ist im 25h Hotel HafenCity gut aufgehoben.
Hamburger Wachmacher
Natürlich lohnt es sich, die offensichtlichen touristischen Highlights Hamburgs abzuarbeiten: den Michel, die Elbphilharmonie, die Innen- und Außenalster ((Bild)), eine Hafenrundfahrt – mit diesem Programm machen Sie ganz bestimmt nichts falsch. Aber wenn Sie nur einen Tag in Hamburg haben und dem verborgenen Charme der Hanseaten ein wenig näherkommen wollen, als es auf den üblichen Touristenpfaden möglich ist, empfehle ich Hamburg anhand einiger Alternativen zu erkunden. Los geht es am Vormittag mit einem Besuch der Speicherstadt, die einige Überraschungen bereithält. Wer Hamburg einmal von Grund auf, also von ganz unten erkunden will, kann sich im Hamburg Dungeon wahre Gruselgeschichten aus 600 Jahren Stadtgeschichte erzählen lassen. Aber Vorsicht: Die Ausstattung der aufwändigen Shows und Fahrattraktionen ist nichts für schwache Nerven. Etwas sanfter werden Sie bei einer Kaffeeverkostung in der Kaffeerösterei wach: Hier wird der biodynamisch angebaute Kaffee, der im Hamburger Hafen ankommt, direkt verarbeitet und täglich frisch geröstet. Wer sich vorab online anmeldet (Termine gibt es ca. alle 14 Tage um 11 und 14 Uhr), kann bei den Profis der Rösterei einen Einblick ins Handwerk der Kaffeeröster bekommen und das professionelle Verkosten lernen – für Genießer ein echtes Erlebnis. Und natürlich ist das architektonische Erbe der Speicherstadt mit ihren typischen roten Backsteinbauten auch einfach so einen kleinen Spaziergang mit offenen Augen wert.
Labskaus zum Lunch
Es mag nicht jedermanns Sache sein, aber typisch hanseatisch bleibe ich beim Lunch in diesem Fall stur: Zum Mittag kommt das Seemannsgericht schlechthin auf den Tisch – ein zünftiger Labskaus. Der Hanse-Klassiker besteht aus Zutaten wie Pökelfleisch, Kartoffeln, Zwiebeln und Rote Beete, die durch den Fleischwolf gedreht und mal mehr, mal weniger appetitlich angerichtet mit einem Spiegelei serviert werden; manche Wirte legen auch einen Matjes-Hering obendrauf. Das alles mag nicht sehr einladend klingen, schmeckt aber ganz besonders bei schlechtem Wetter sensationell. Hervorragenden Labskaus gibt es in ganz unterschiedlichem Ambiente: In der Alten Helgoländer Fischstube am Fischmarkt ganz klassisch-niveauvoll; im Anno 1905 in Altona weitgehend touristenfrei und originalgetreu ohne Schnickschnack; im Brodersen in einer prächtigen Jugendstilvilla mit Außenterrasse mit ganz viel Grandezza in der noblen Rothenbaumchaussee; mit modernem Touch für Gourmets gewandelt im Kleinhuis von Ignace Vandycke in der Neustadt.
Abseits der ausgetretenen Pfade
Vom Hanseviertel hat jeder schon gehört – aber kennen Sie das Gängeviertel? Eben. Dabei ist es hier genauso spannend wie in der Berliner Weserstraße oder in der Züricher Langstraße: Allein die Tatsache, dass Künstler und Lebenskünstler das Viertel in den letzten zehn Jahren nach und nach gekapert haben, macht es zu einem spannenden Melting Pot der Stile und Lebensarten mit vielen originellen Galerien, Happenings, Bars und Cafés. Genauso aufregend ist aber das Erbe des Viertels, denn es blieb von den Bombardements im Zweiten Weltkrieg verschont. Deshalb lässt sich hieralte hanseatische Architektur bewundern, die es so sonst nirgends in Hamburg mehr gibt.
Wunderschön – und längst nicht allen Hamburg-Besuchern gewahr – ist auch der aufwändig hergerichtete City-Park Planten und Blomen – das grüne Herz Hamburgs mitten zwischen dem Congress Center und dem Millerntor. Neben dem Alten Botanischen Garten ist das besondere Highlight einer der größten japanischen Landschaftsgärten Europas. Wer möglichst viel von der Stadt sehen, aber keine 08/15-Stadtrundfahrt machen möchte, kann in Hamburg eine ganz ungewöhnliche Variante wählen: Eine „Stadtkreuzfahrt“ im Amphibienbus, also zu Land und zu Wasser! Tickets gibt es bis 20 Minuten vor Abfahrt am Brooktorkai 16 in der Speicherstadt. Aber Achtung, vor der 70-minütigen Tour noch mal austreten gehen – an Bord des futuristischen Fahrzeugs gibt es bauartbedingt keine Toilette. Die Touren starten alle 90 Minuten, die Zeiten variieren jedoch nach Jahreszeit und Wasserstand.
Dinner im Jill
Unter den Hamburgern ist die Gentrifizierung des Schanzenviertels sehr umstritten. Kulinarisch ist eines ihrer Ergebnisse, die Pizzeria Jill, aus meiner Außenperspektive betrachtet auf jeden Fall ein Gewinn. Denn im Jill wird einmal nicht die Pizza römischer Prägung serviert, wie wir sie in Deutschland größtenteils gewöhnt sind, sondern der Urtyp: die neapolitanische Variante. Die sieht nicht nur anders aus und schmeckt anders, sondern ist auch gastro-kulturell eigentlich das Gegenteil dessen, was wir mit Pizza verbinden: Slowfood statt Fastfood. Der Teig muss zwei bis drei Tage gären und wird dann nur eine Minute lang bei extrem hoher Hitze gebacken. Die Pizza ist dann weniger fettig, die Zutaten bleiben frisch und knackig. Mein Favorit ist die Capra mit Ziegenkäse, roten Zwiebeln, Kürbis, Hönig, Rosmarin, Birne und Rucola. Der zweieinhalb Tonnen schwere Ofen, der im Zentrum des Jill in der Bartelsstraße 12 steht, wurde tatsächlich aus Neapel importiert – von Stefano Ferrara, einem der letzten Pizzaofenbauer des alten Schlages. Zur außergewöhnlichen Pizza stehen den Gästen ganz 19 offene Weine zur Verfügung – ein ungewöhnliches, für mich sehr begrüßenswertes Getränkekonzept in einer gehobenen Pizzeria. Auch der Gin Tonic (sechs verschiedene Sorten) ist toll!
Laufen an der Außenalster oder Radeln durch den Alten Elbtunnel
Wer die Kalorien, die sich über den Tag gesammelt haben, am Abend wieder loswerden möchte, findet rund um die abendliche Außenalster eine wunderschöne Kulisse zum Laufen. Die ganze Strecke ist rund 7 Kilometer lang. Für einen kürzeren Lauf und besonders für den Abend empfehle das Westufer, denn dort wurden extra für Läufer Leuchten angebracht. Mein mit Abstand liebstes Fitnessprogramm in der fahrradfreundlichen Hansestadt ist aber eine Tour mit dem Fahrrad von der City ins „Alte Land“ durch den alten Elbtunnel von 1911 hindurch. In 24 Metern Tiefe, die Sie mit dem Fahrstuhl erreichen, geht es bei den St-Pauli-Landungsbrücken quer unter der Elbe hindurch. Eine außergewöhnliche Fitness-Erfahrung mit hohem Insider-Faktor. Für Fußgänger und Radfahrer ist der Tunnel durchgehend geöffnet.