Es gibt Restaurants, die High-End-Kulinarik auf Sterne-Niveau produzieren, ohne eine Plakette am Eingang zu tragen. Mir persönlich waren die Sterne selten so egal wie im Restaurant Embassy in Siem Reap – einem Hidden Gem mitten im Weltkulturerbe.
Das Konzept: Authentisches Khmer Essen trifft auf Nouvelle Cuisine
Schon als ich das Restaurant Embassy betrete, bin ich irritiert. Als ich mich nach einem intensiven Sightseeing-Tag im Weltkulturerbe von Siem Reap hungrig hierher auf den Weg gemacht habe, hatte ich keine Ahnung, was mich erwarten würde. Und doch habe ich alles erwartet, nur das nicht.
Als ich durch die Tür trete, könnte ich plötzlich genauso gut in Paris sein. Ich betrete einen gemütlichen, komplett weiß gehaltenen Raum von überschaubarer Größe mit vielleicht zwanzig Tischen. Die hochwertigen Tischdecken, das silberne Besteck, die Tafeln an den Wänden – abgesehen von den Angestellten sieht hier alles aus wie in Europa.
Automatisch ändert sich meine Erwartungshaltung: Werde ich statt authentischem kambodschanischem Essen hier modernes Fine Dining westlicher Prägung erleben? Wenig später weiß ich: beides – und noch viel mehr.
Tatsächlich ist auch die Führung des Embassy moderner als in manchem europäischen Sterne-Restaurant, wo es gern auch heute noch patriarchisch zugeht: Das Restaurant wird von den „Kimsan Twins“ geführt – zwei jungen Damen, die ganz genau wissen, was sie tun. Damit meine ich sowohl das Essen als auch den Service: Dass beide in internationalen Küchen auf hohem Niveau ausgebildet sind, ist mehr als offensichtlich. Besonders sympathisch: Das Embassy ist reine Frauensache – vom Management über die Küche bis hin zum Service.
Die Location: Kosmopolitisch inmitten des Weltkulturerbes
Meine Überraschung über die Optik des Restaurants kommt nicht von ungefähr. Immerhin liegt das Restaurant inmitten des historischen Stadtkerns von Siem Reap, unweit etwa des Tempels Wat Damnak. In derselben Umgebung, am gegenüberliegenden Nordufer des Siam Reap aber noch mehr als hier am Südufer, wimmelt es von Bars, Restaurants und Hotels für die wachsende Zahl von Touristen.
Wer nach dem Besuch noch Lust auf intensiv lokales Flair hat, kann sich den Nachtmarkt anschauen, der nur etwa 300 Meter entfernt in westlicher Richtung am Ufer des Siam Reap-Flusses entlang mit einheimischen Snacks und viel Atmosphäre lockt.
Die Kolonialzeit ist in dieser Gegend von Siam Reap, wie in vielen bedeutenden südostasiatischen Städten, deutlich spürbar. Im Embassy jedoch ist die Zeit ganz und gar nicht stehengeblieben. Und das gilt vor allem für die Küche: Achtung, jetzt wird es anspruchsvoll.
Die Qualität: 7-Gänge-Menü im Test
Um es kurz zu machen: Ich habe lange nicht mehr so gut und selten besser gegessen als in diesem Restaurant. Ich entscheide mich für das 7-Gänge-Menü und gerate schon beim Anblick der Menükarte ins Schwärmen. In der Tat wird hier klar Kambodschanisch gekocht – allerdings nicht auf die traditionelle Art, sondern mächtig 2018.
Den Anfang macht eine Auswahl von „Khmer Street Finger Food“, die unter anderem Khmer Crêpes, Shrimps-Cracker, Fladen vom jungen Reis mit süßen Schweinewürstchen und geröstete Kürbissamen enthält. Bevor ich es mich versehe, ist auf meiner Zunge Achterbahn. Und dabei hat es noch nicht einmal das Amuse Bouche auf meinen Teller geschafft!
Das kommt als nächstes, und Tierschützer überspringen bitte den Rest dieses Absatzes: Jetzt wähne ich mich endgültig in Paris. Ein mild gewürztes Froschbein, eingerollt in eine Auberginenscheibe, ruht auf einem exakten, leuchtenden Dreieck aus Drachenfrucht-Soße. Und der winzige Happen schmeckt genauso aufregend, wie das klingt.
Der Appetizer – Jakobsmuschel an einem Salat von kandiertem Brokkoli und Tomaten, asiatischem Basilikumsamen und Kaffernlimetten-Dressing – und die Suppe – saure Kampong-Bambussprossen, Curry-Paste und gefüllte Chicken Wings – lassen meine Verunsicherung weiter steigen: Habe ich wirklich keine Michelin-Plakette am Eingang gesehen? Bei der Suppe meine ich zuerst einen Fauxpas zu entdecken: Zu ihr bekomme ich einen Roselleblüten-Zitronengras-Ingwer-Tee serviert. Tee zur Suppe? Das tut man eigentlich nicht, in der gehobenen Küche. Auch dieses Klischee verpufft jedoch beim ersten kombinierten Schluck: Die Säure der Suppe und die feine, würzige Süße des Tees harmonieren ideal. Ich gebe das Kritisieren auf und beginne endgültig zu genießen.
Und genau in diesem Moment kommt die einzige Enttäuschung des Menüs: Für den Refresher wurden heimische Battampang-Grapefruit und frische Minze zu einem Sorbet verarbeitet, das tatsächlich extrem erfrischend auf der Zunge explodiert. Dieser Happen zwischendurch soll die Geschmacksnerven nach den intensiven vorangegangenen Gängen eigentlich für die Aromenvielfalt des Hauptgangs vorbereiten – und das klappt nicht. Zu intensiv ist die Grapefruit, als dass sie den Mund klären könnte.
Dem Höhepunkt des Menüs tut das jedoch keinen Abbruch. Gleich zwei Hauptgänge werden aufgetischt: Fisch und Fleisch. Los geht es mit einem Stew Sandai-Filet mit Palmherz-Püree und knusprigen Blüten; das ganze Arrangement ist in Reispapier gehüllt.
Der Fleischgang besteht aus einer 12 Stunden lang marinierten, zur Perfektion gegarten Ente vom Holzkohlegrill mit einer geheimen Gewürzmischung nach Art des Hauses, regionalem Honig und Ananas-Soße; dazu gibt es Jasmin-Reis mit Kurkuma. Und obwohl die einzelnen Portionen nicht nur aussehen wie Nouvelle Cuisine, sondern sich leider auch an deren Portionsgrößen orientieren, stellt sich tatsächlich langsam ein Sättigungsgefühl bei mir ein. Besonders fasziniert mich der verwendete frische Kampot-Pfeffer mit seinem intensiven, holzigen Aroma.
Zum Dessert servieren die reizenden „Kimsan Twins“, die auch den direkten Kontakt zu ihren Gästen suchen und sehr geduldig ihre Kreationen erklären, eine weitere Überraschung: gebackene Cassava-Kartoffeln mit Karamell von der Zuckerpalme, dazu Maracuja-Eiscreme an einem Pandan-Blatt.
Fast überflüssig zu erwähnen: Auf diesem Niveau ist natürlich die Wein-Begleitung exzellent. Und die für uns exotischen und teils sehr intensiven Aromen dieser Küche angemessen mit größtenteils europäischen Weinen zu begleiten ist alles andere als einfach.
Der Service: Leidenschaftliche Frauenpower
Dem Service ist deutlich die Handschrift der beiden „Kimsan Twins“ anzumerken, denn es geht sehr persönlich zu. Bei jedem Gang spüre ich trotz gelegentlicher Verständigungsschwierigkeiten aufgrund der Sprachbarriere, dass die Damen mir jeden Gang nahebringen wollen. In jedem Bissen erkenne ich die Leidenschaft: Hier werden typisch kambodschanische Aromen mit einer Konsequenz und einer Kreativität zu modernen neuen Kreationen verarbeitet, die Anerkennung verdient – und mit Sicherheit auch mindestens einen Stern, eher zwei.
Und genau diese Leidenschaft ist auch im Service präsent. Als ich die Kellnerin darauf hinweise, bringt sie mir extra einen Teller mit einem Zweig der frischen Pfefferbeeren zur Ansicht – ein feiner Zug. Immerhin ist das ein zusätzlicher Weg an einem sehr beschäftigten Abend, nur um mir als Gast eine Freude zu machen.
Eine letzte Überraschung ist das Abschiedsgeschenk: Zum Schluss bekomme ich eine Tüte mit hausgemachten Macarons als Betthupferl zum Mitnehmen überreicht. Das ist mir lange nicht passiert – auch nicht im Land der Macarons.
Das Preis-Leistungs-Verhältnis: Sterneküche zum Schnäppchenpreis
Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist nicht nur gut, es ist sensationell; geradezu billig, um ehrlich zu sein. Nicht für kambodschanische Verhältnisse, natürlich, aber im internationalen Vergleich. Das Embassy ist ein Schnäppchen, nach dem Feinschmecker auf der ganzen Welt lange werden suchen müssen.
Für 7 Gänge auf Sterne-Niveau mit Wein- und Teebegleitung, inkl. Abschiedsgeschenk und hervorragendem Service, bezahle ich sagenhafte 50 Euro pro Person.
Das Fazit: Die Kalorien wert?
Die Qualität des Essens allein würde reichen, um dem Embassy in Siem Reap eine dicke Empfehlung auszusprechen: Hier wird ohne Sterne auf Sterne-Niveau gekocht – und das mit einer Leidenschaft und Kreativität, die aller Ehren wert ist. Die Aromen sind exotisch, die Kombinationen überraschend, die Zubereitung anspruchsvoll und der Geschmack, mit Ausnahme des etwas unglücklichen Refreshers, auf höchstem Niveau. Was am Ende jedoch den Ausschlag zwischen „ausgezeichnet“ und „Weltklasse“ gibt, ist das im internationalen Vergleich unfassbare Preisniveau, das jede Skala sprengt.
Das Embassy in Siem Reap ist ein Hidden Gem, wie wir sie auch als Weltreisende nur selten finden – und ich bin froh, es für Sie entdeckt zu haben.
#Wertung
Die Bewertung erfolgt nach subjektiven und zugleich professionellen Gesichtspunkten aus meiner Perspektive als langjähriger Branchen-Insider anhand des Net Promoter Score auf einer Skala von 1 (unwahrscheinlich, dass ich das Unternehmen einem Freund oder Kollegen empfehlen würde) bis 10 (äußerst wahrscheinlich).