Das Restaurant und der Feinkosthandel Zum Schwarzen Kameel in der noblen Wiener Bognergasse ist eine Wiener Institution. Die Inszenierung ist beeindruckend, die Qualität hervorragend, die Atmosphäre wie aus einer anderen Epoche. Schon seit Jahrhunderten gibt sich hier die bessere Gesellschaft ein Stelldichein. Der Wermutstropfen sind die Kellner, die mit ihrer überheblichen Attitüde Nicht-Wienern das Gasterlebnis ruinieren.
Das Konzept: Adel verpflichtet
Das Restaurant Zum Schwarzen Kameel in Wien gibt es seit 1618. Das ist sogar für Wiener Verhältnisse eine beachtliche Lebensdauer. Der Name stammt von Johan Baptist Cameel, der das schon damals traditionsreiche Haus in jenem Jahr erwarb und eine Gewürzkrämerei hier einrichtete – damals ein sehr reiches Gewerbe. Zweihundert Jahre später übernahm Joseph Stiebitz die feine Adresse und machte sie zum Anlaufpunkt für edle Weine und andere Spezialitäten. Seitdem wird das Haus innerhalb der Familie von Generation zu Generation weitergereicht – eine Wiener Institution. Eine Weinstube wurde der Feinkosthandlung im frühen 19. Jahrhundert hinzugefügt – die Geburtsstunde des heutigen Treffpunkts, den das Schwarze Kameel noch immer darstellt.
Spätestens seit das Haus 1825 auch zum Hoflieferanten wurde, hat es immer eine gewisse Kundschaft angezogen: Noble Leute, die hier einerseits der steifen Etikette in den besseren Kreisen entfliehen konnten, ohne andererseits zu sehr unters gemeine Volk zu geraten. Und daran hat sich eigentlich nicht viel geändert, denn diese Attitüde erlebe ich auch bei meinem Besuch. Auch, wenn sie zu Wien und seiner Tendenz zum Standesdenken passt: Das muss man mögen, um sich hier wohlzufühlen.
1901 wurde an derselben Stelle ein neues Haus gebaut, und seitdem ist das Interieur unverändert geblieben – ebenso wie die Klientel aus besseren Kreisen und jenen, die gern dazugehören möchten.
Die Location: Treffpunkt der Society
Das Schwarze Kameel grast äußerst vornehm in der Bognergasse 5 – einen Steinwurf vom Stefansdom entfernt, nahe der U-Bahn Herrengasse und bezeichnenderweise genau zwischen Prada, Chanel und Louis Vuitton. Damit dürfte geklärt sein, wie prominent die Immobilie ist – und das Schwarze Kameel war lange, lange vor all den Designern da.
Die Räumlichkeiten sind riesig: Café, Bar, Restaurant, Schnittchen-Theke und vieles mehr hat bequem Platz in dem weitläufigen Erdgeschoss des noblen Gebäudes. Mehr Wiener Charme könnte ein Lokal kaum versprühen: Die Wiener sind in weißen Jacketts unterwegs, sogar die Damen tragen Westen. Dunkles Holz, geschliffenes Glas, Blattgold und Schnörkel – das Schwarze Kameel erfüllt alle Klischees und wirkt dabei dennoch nicht wie in Museum. Das liegt daran, dass der Laden brummt: Es ist krachvoll, und die Stimmung ist sogar jetzt am späteren Abend noch lebhaft – das ist in Wien schließlich nicht überall so.
Besonders viel ist hier an Silvester los: Da stehen die besseren Wiener Schlange, um dabei zu sein. Das Schwarze Kameel ist, daran besteht kein Zweifel, einer der Wiener „places to be“. Die Wiener lieben das Schwarze Kameel. Und ich möchte wissen, warum.
Die Qualität: Schnittchen mit Attitüde
Die einfache Antwort ist das Qualitätsversprechen, das auch nach 400 Jahren immer noch eingelöst wird. Ich habe lediglich ein paar Schnittchen probiert, denn ich war nur für einen Drink und einen späten Snack im Schwarzen Kameel. Ausgehend von diesen Häppchen, die es noch dazu für überraschend günstige 1,40 Euro das Stück gibt, wird das Kameel seinem Ruf kulinarisch gerecht.
Doch der ist ohnehin nicht so sehr der Ruf eines klassischen Restaurants, sondern eher der einer besonders feinen Delikatessenhandlung und Weinstube, die der Society eine Bühne bietet – eine Bühne mit feinen Snacks und feiner Kulisse. Darüber hinaus gehört auch gehobenes Catering zur Marke – Picknicks à la Kameel sind beliebte Statussymbole, wenn es in der Wiener Gesellschaft etwas zu feiern gibt. Das „Wiener Picknick“ etwa umfasst zwei Flaschen Grünen Veltliner (Eigenmarke), ein Glas Essiggurken, ein Glas Schmalz und einen Kren.
Die auffällig inszenierten Wein- und Spirituosenflaschen im Regal, der Honig und andere Standard-Artikel sind mit dem Logo des Hauses, einem schwarz-goldenen Kamel, gebrandet. Dieses Lokal ist nicht einfach nur ein Lokal – es ist eine Marke. Produkte wie die Picknick-Boxen und viele andere hauseigene Spezialitäten lassen sich nicht nur vor Ort, sondern auch online erwerben.
Das Geschirr ist sehr hochwertig, ebenso wie die Bar-Ausstattung. Das antike Interieur ist natürlich nicht mehr neu, aber hervorragend gepflegt, und die routinierten, effizienten und zugleich wirkungsvoll inszenierten Abläufe sind das Werk von Vollprofis mit viel Erfahrung, keine Frage. Dies ist ein nobles Haus – das kann man der Eigentümerfamilie Friese nicht absprechen.
Der Service: Service-Mafiosi in weißen Westen
Den Anspruch – oder sagen wir besser: die Attitüde – merkt man dem Service allerdings leider auch an. Die Herren in den weißen Jacketts, die mit hoch erhobenem Haupt zwischen den Tischen hin- und her tänzeln, sind der Inbegriff jener legendären, arroganten Wiener Jäckel, die eigentlich jeden Gast von außerhalb, regelmäßige Besucher und Kaffeehaus-Routiniers einmal ausgenommen, einfach nur abschrecken.
Uns ergeht es an diesem Abend, wie es wohl jedem ergeht, dessen Gesicht die Herren des Rings nicht kennen oder nicht kennen wollen: Wir müssen um einen Tisch kämpfen und werden dabei behandelt wie unwürdige Bittsteller bei Hofe. Leider ist also nicht nur die wirklich schöne Einrichtung aus dem vorletzten Jahrhundert, sondern auch die Haltung der Kellner. Service geht anders.
Ich habe Kellner auf der ganzen Welt trainiert, analysiert, genossen und manchmal gehasst. Vor langer Zeit war ich selbst einer von ihnen. Doch die Kellner im Schwarzen Kameel haben die Ignoranz perfektioniert, die jedem Ansatz von wirklich gutem Service den Garaus macht: Sie haben effektiv vergessen, wer in der Gastronomie vor dem Tresen steht und wer dahinter. Jeder Kellner hat seinen festen Tisch – soweit, so üblich. Doch selbst an diesen Tischen werden die Gäste erst gesehen, wenn sie nach Einschätzung des Kellners dran sind – egal, ob sie offensichtlich zwischendurch etwas wünschen oder nicht. Für alle Mitarbeiter außer unserem Kellner sind wir sowieso Luft.
Was mir zudem unangenehm aufstößt ist, dass im Schwarzen Kameel auch im Jahr 2018 offensichtlich ausschließlich Männer kellnern dürfen. Die Damen dürfen lediglich die Tische abräumen und hinter der Sandwich-Theke stehen. Mag sein, dass das in Wiener Kaffeehäusern seit jeher so üblich ist. Zeitgemäß ist es nicht.
Dem Gast hinter mir scheint es zu gefallen, denn er scheint aus derselben Epoche zu stammen: „Herr Ober, schenken Sie mir nach!“, ruft er dem schon wieder davoneilenden Kellner vergnüglich nach und reckt sein Champagner-Glas in die Höhe. Vielleicht ist das Ironie; vielleicht ist er auch einfach einer jener besseren Wiener, deren Gesichter man hier kennt und die das dürfen.
Amüsant ist es im Schwarzen Kameel ohne Zweifel: Wie eine Zeitreise in die Epoche der Service-Mafiosi, die es an jeder besseren Hotel-Rezeption und jeder besseren Gaststube einmal gab.
Das Fazit: Die Kalorien wert?
Warum das Schwarze Kameel eine Wiener Institution ist, kann ich nachvollziehen: In unschlagbarer Lage, eingerichtet in alter Wiener Tradition und als Marke für feinste Delikatessen und Weine hervorragend gebrandet und etabliert macht das Schwarze Kameel vieles richtig. Auch die Atmosphäre ist fraglos eine besondere. Sogar die Kellner in Weiß gehören zur klassischen Wiener Erfahrung irgendwie dazu. Ihre unzeitgemäße, aus professioneller wie aus Gastsicht eigentlich unzumutbare Attitüde jedoch kann gewollt und inszeniert sein, wie sie will – mir verdirbt sie das schöne Erlebnis, das der Aufenthalt in diesem Lokal sonst sein könnte. Und wo ich mich nicht wohlfühle, lasse ich auch nicht gern mein Geld. Das Kameel kann es sich offensichtlich leisten, von seinem Image in der Wiener Gesellschaft zu leben. Bleibt zu hoffen, dass das auch in Zukunft funktioniert.
Geöffnet ist das Schwarze Kameel täglich von 8 bis 0 Uhr. Wer kein Risiko eingehen will und keine Lust auf die Attitüde hat, reserviert besser vorab. Das Glas Wein kostet übrigens zwischen etwa 3 und 8 Euro, das Glas Champagner zwischen 12 und 17 Euro, die berühmten Schnittchen gibt es für 1,40 Euro das Stück.
#Wertung
Die Bewertung erfolgt nach subjektiven und zugleich professionellen Gesichtspunkten aus meiner Perspektive als langjähriger Branchen-Insider anhand des Net Promoter Score auf einer Skala von 1 (unwahrscheinlich, dass ich das Unternehmen einem Freund oder Kollegen empfehlen würde) bis 10 (äußerst wahrscheinlich).
Ich weiß nicht, aus welchem Jahrhundert diese Bewertung stammt, aber es stimmt heute nicht mehr: Schnittchen kosten zwischen 1,75 € und 4,50 €, Champagner kostet ab 15,90 €, und die Frauen servieren hier sehr freundlich, keinerlei Einwände.
Alles im deutlich gehobenen Preisniveau.
Weiterhin ist eine Reservierung notwendig, spontan ist kein Platz zu bekommen.