Lange Zeit hatte das Grand Hotel Heiligendamm mit Imageproblemen zu kämpfen. Inzwischen gilt es wieder als eine der nobelsten Adressen an der Ostsee. Zu Recht.
Vom Adlon abgesehen, gibt es in Deutschland wohl kaum ein anderes Hotel, von dem eine solche Strahlkraft ausgeht. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass die Geschichte der „Weißen Stadt am Meer“ alles mitbringt, was es für ein echtes Epos braucht. Herzöge, eine preußische Königin, einen charismatischen Visionär und sein Familienimperium, ermittelnde Staatsanwälte, Spitzenpolitiker beim G8-Gipfel, Glamour, Insolvenz und Neuanfang.
Kritik und Kontroversen hat das Fünf-Sterne Grand Hotel Heiligendamm inzwischen jedoch hinter sich gelassen und ist heute unter den fünf Topresorts in Deutschland angekommen.
Wenn Sie meine Kolumne schon des Öfteren gelesen haben, wissen Sie, wie akribisch ich den Check-in-Vorgang in jedem neuen Hotel analysiere, in dem ich zu Gast bin. Denn der Check-in ist der erste Kontakt zwischen Hotel und Gast, und somit fast der wichtigste Punkt, um die richtigen Weichen zu stellen.
Fühle ich mich als Gast herzlich willkommen? Stimmen die Prozesse? Geht es darum, meinen Aufenthalt bloß zu verwalten oder kann ich schon hier spüren, dass es Ziel des Hotels ist, meinen Besuch zu einem gelungenen Erlebnis zu machen?
Im Grand Hotel Heiligendamm hat man das verstanden und geht noch einen Schritt weiter, um sich als perfekter Gastgeber zu positionieren. Der Check-in beginnt bereits Tage vor meiner eigentlichen Ankunft. Nämlich ganz unkompliziert mit einem Telefongespräch. Guest Relation Managerin Annika Schober meldet sich bei mir, um die wesentlichen Dinge zu klären. Twin- oder Doppelbett, Spa-Treatments, Abschlagzeiten auf dem Golfplatz?
Die so oft zitierte „Customer Journey“, hier wird sie perfekt angewendet. Fokussierung auf den Gast, schon bevor er das Hotelgelände betritt. Ich muss nicht aktiv werden, keine E-Mail schicken. Das Hotel holt mich ab, schon bevor ich da bin. Allein diese Herzlichkeit sorgt dafür, dass die Vorfreude mit jedem Kilometer, den ich mich der mecklenburgischen Ostseeküste nähere, steigt.
Kurz vor Heiligendamm geht es durch eine traumhaft schöne Naturlandschaft. Die Landstraße gesäumt von altem Baumbestand. Felder und Buchenwälder so weit das Auge reicht. Noch eine Kurve, und schon stehe ich vor dem Haupthaus des Hotels.
Perfekt auf den Gast ausgerichtet
Hier bin ich nicht allein. Insgesamt sechs Gäste kommen zeitgleich an, der Parkplatz ist damit voll. Trotzdem werde ich persönlich begrüßt. Von Stress oder Unruhe lassen sich die Doormen, Pagen und Guest-Relation-Managerinnen, die hier mit vereinten Kräften auftreten, nichts anmerken.
Auch Hoteldirektor Thies Bruhn ist vor dem Hotel dabei. Für mich als Travel-Experte immer ein positives Zeichen. Leider sehe ich es zu oft, dass die Direktion lieber von der Bar aus agiert, anstatt – überspitzt gesagt – sich die Hände schmutzig zu machen. Hier ist es umgekehrt. Bruhn unterstützt seine Mitarbeitenden und organisiert das herzliche Willkommen mit sicherer Hand. Ohne dass Chaos entsteht.
Das Konzept der Ausrichtung auf den Gast wird hier zur Perfektion gebracht. Während meines viertägigen Aufenthaltes bleibt Annika Schober feste Ansprechpartnerin. Als Gast habe ich nicht den Eindruck, dass sich die Guest-Relation-Manager irgendwann in den Feierabend verabschieden.
Ich habe lange genug auf der „anderen Seite“ gearbeitet, um zu wissen wie anstrengend der Job mitunter werden kann. Deswegen großes Kompliment an die bemerkenswerte Freundlichkeit und Aufmerksamkeit mit der jeder Gastwunsch angegangen wird. Sei es der Tennisschläger, ein zweites Kissen oder ein Besuch beim Arzt.
Übrigens werden nicht nur die großen Gäste in Heiligendamm vorbildlich umsorgt. Zur Weiterentwicklung des Hotels gehört auch der Schwerpunkt auf professioneller Kinderbetreuung und anspruchsvollem Edutainment. So kommen kleine Gäste in den Genuss einer ganzen Villa. Drei Etagen mit verschiedenen Erlebniswelten von Western Village bis Space Shuttle, umgeben von einem eigenen Garten mit Schaukel, Rutsche und Sandkasten, bieten viel Platz zum Herumtoben. Dazu kommt ein großer Katalog an verschiedenen Aktivitäten.
Dass man Betreuungsangebote und den allgemeinen Anspruch, ein Resort für Familien zu sein, als Stärke ausbaut, ist richtig. Gleichzeitig kann sich hier aber auch eine Schwachstelle verstecken. Zwar gibt es für den Pool designierte Kinderschwimmzeiten und auch der Spa ist für kleine Kinder nicht zugänglich. Trotzdem sollte das Hotel noch mehr Ruhezonen für Einzelreisende schaffen.
Mein Zimmer ist mit über vier Meter Deckenhöhe und direktem Blick aufs Meer einfach fantastisch. In der Hochwertigkeit der Ausstattung und der feinen Details wie Pralinen oder handverlesenem Obst mit optimalem Reifegrad erfüllt sie meine Vorstellung von Luxus, der sich vor allem durch Großzügigkeit und Liebe zum Detail definiert, voll und ganz.
Doch erst ein weiteres Detail macht das Erlebnis wirklich perfekt. Das sanfte Rauschen des Meeres, das im Zusammenspiel mit den hellen Farben des Interieurs – die einen Gegenpol zur kühlen, preußischen Strenge des Klassizismus der Fassade bilden – ein beruhigendes, luftiges Gesamtkonzept schafft.
Die Handschrift von Anna Maria Jagdfeld ist unverkennbar. Eleganz pur. Nur wenige Designer schaffen es meiner Meinung nach, eine so gelungene Mischung aus Stil und Funktionalität zu kreieren. Die Materialien sind langlebig und wirken auch jetzt so, als sei das Hotel gerade erst eröffnet worden. Wie sagte mein geschätzter Kollege Frank Marrenbach doch so treffend: Luxus schreit nicht, Luxus flüstert.
In guten wie in schlechten Zeiten
Das Hotel ist ausgebucht. Das ist sicherlich auch der Coronakrise geschuldet, die dafür sorgt, dass die Ostsee 2020 als Destination so boomt wie nie zuvor. Aber nicht nur. Thies Bruhn wird mir später in einem persönlichen Gespräch verraten, dass 2020 mit großer Wahrscheinlichkeit das beste Jahr für Heiligendamm wird. Trotz der schwierigen Bedingungen in der ersten Jahreshälfte.
Dass die Vision von Gründer Anno August Jagdfeld nun endlich auch zu betriebswirtschaftlichem Erfolg kommt – die Durchschnittsrate des Hotel liegt bei rund 590 Euro – ist mehr als überfällig. Denn streckenweise waren die Zeiten für die weiße Stadt ganz schön düster.
Heiligendamm empfängt seit mehr als 200 Jahren Gäste. 1793 wurde es von Friedrich Franz I., Herzog von Mecklenburg-Schwerin, als erstes deutsches Seebad gegründet. Berühmtheiten wie Rainer Maria Rilke, Felix Mendelssohn Bartholdy, Königin Luise von Preußen oder Zar Nikolaus I. genossen hier schon die Sommerfrische.
Nach dem Zweiten Weltkrieg diente Heiligendamm auch weiterhin als Kurbad, allerdings für erholungsbedürftige Werktätige. Dann kam die Wiedervereinigung. 1996 erwarb die Investorengruppe Fundus des Immobilienunternehmers Anno August Jagdfeld, der auch hinter dem Adlon in Berlin steht, die Anlage Heiligendamm. 2000 fiel der Startschuss für die Bauarbeiten und Renovierungen.
Über 200 Millionen Euro fließen in das Projekt „Weiße Stadt“ und die Rekonstruierung des Gebäudekomplexes, darunter allein 50 Millionen Euro öffentliche Gelder zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Heiligendamm soll zum Musterbeispiel für die Entwicklung des Luxustourismus in den neuen Bundesländern werden.
2003 öffnet das Hotel seine Türen, gemanagt von der Kempinski-Gruppe. Anfang 2007 wird das Fünf-Sterne-Haus erst in die exklusive Gruppe der „The Leading Hotels of the World“ aufgenommen, dann geht im Juli ein Foto um die Welt und bringt das Hotel imagetechnisch auf seinen Zenit: Angela Merkel teilt sich zum G8-Gipfel einen überdimensionalen Strandkorb mit den mächtigsten Staats- und Regierungschefs, darunter George W. Bush und Wladimir Putin.
Heiligendamm war Jagdfelds erklärtes Lieblingsprojekt und sollte sein Lebenswerk abschließen, aber alles kommt anders. Millionenverluste, Kempinski steigt aus, Jagdfeld selbst übernimmt das Management und die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern sieht sich gezwungen, mit einer Bürgschaft von vier Millionen Euro auszuhelfen. Das Hotel hätte sonst nicht überlebt. Von den versprochenen Renditen sehen Anleger nichts. Die Gäste bleiben aus. 2012 muss Jagdfelds Fundus-Fonds 34 Insolvenz anmelden.
Den Hotelbetrieb haben die filmreifen Geschehnisse hinter den Kulissen nie gestört. Der lief weiter. 2013 wechselt der Eigentümer. Paul Morzynski, ein Unternehmer aus Hannover, übernimmt das Grand Hotel.
Auf der Zielgeraden zu den deutschen Hamptons
Trotz aller Kontroversen bleibt das Resort eine beeindruckende Lebensleistung der Familie Jagdfeld und kommt der Vision der „Hamptons an der Ostsee“ immer näher.
Neben dem Ausbau weiterer historischer Logier-Villen, der sogenannten Perlenkette, und Cottages wird vor allem in den Bereich Sport und Wellness investiert. Dazu gehört zum einen der 3.000 Quadratmeter große Spa-Bereich, mit Indoor- und Outdoor-Pool, verschiedenen Saunen, Dampfbädern und Treatments.
Aber auch hauseigener Yoga-Meister aus dem Himalaya, Tennisplätze und ein breites Sportangebot rund um Strand und Meer machen klar, wo das Hotel – neben Gastronomie und Kulturveranstaltungen – seinen Fokus setzt. Selbst der Weg zum etwa fünf Kilometer entfernten 18-Loch-Meisterschaftsplatz des Resorts Wittenbeck, der sich pittoresk in die Dünenlandschaft einfügt, wird zum ganz besonderen Erlebnis. Als exklusive Self-Drive Experience stellt mir das Hotel einen BMW M6 Competition zur Verfügung.
Zum Stichwort Golf gibt es in Heiligendamm dann auch noch ein kleine Sensation zu verkünden. Eine neue Anlage wird entstehen. Der Adlon Golf & Country Club. Wenn das Markenversprechen „Adlon oblige“ hier greift, wird dieser Teil der Ostsee damit endgültig zur Luxuszone. Einen dürfte das ganz besonders freuen. Denn Anno August Jagdfeld hatte seinerzeit immer wieder kritisiert, dass es vor allem die Zaungäste seien, die nicht nur den Hotelbetrieb, sondern eben auch die luxusverwöhnten Hotelgäste gestört hätten. Jahrelang waren ihm die Heerscharen von Radlern und neugierigen Spaziergängern, die über das Areal strömten, ein Dorn im Auge.
Vom Klassenkampf an der Ostsee war in der Presse die Rede. Der hat sich jetzt zumindest für die neuen Planungen entschieden, denn der Adlon Country Club wird eine weitläufige Gated-Community, in der die Gäste unter sich bleiben.
Am Ende bleibt die Seezunge
Das kulinarische Angebot in Heiligendamm ist erwartungsgerecht hoch. Zugpferd für Gourmettouristen ist natürlich das Restaurant Friedrich Franz. Ausgezeichnet mit einem Michelin-Stern und 18 Gault-Millau-Punkten. Mit nur zehn Tischen bietet das Restaurant im historischen Kurhaus, also direkt im Herzstück des Gebäudekomplexes, eine entspannte Atmosphäre. Aber auch einen hohen Grad an Exklusivität.
Seit 2008 serviert Küchenchef Ronny Siewert, unterstützt von Restaurantleiter Norman Rex, hier klare Luxusküche, die mit der Zeit geht. Kreativ, aber nicht zu verspielt. Edel und kleinteilig, aber nicht abgehoben.
Es gibt auch neuere Gastrokonzepte, wie zum Beispiel ein hervorragendes Sushi-Restaurant, eine Beachbar oder einen Foodtruck am Pool. Die sorgen für Modernität, Urlaubsflair und mehr Leichtigkeit im Gesamtkonzept.
Trotz aller Fine-Dining-Vielfalt und Raffinesse auf Sterneniveau, am Ende ist es trotzdem die Seezunge aus dem Hauptrestaurant des Hotels, für die ich glatt noch einmal wieder an die Küste kommen würde. Auf den Punkt zubereitet, mit frischen Kräutern und Spinat. Ein Hochgenuss! Wieder einmal zeigt sich: Echter Luxus liegt im Klaren, im Einfachen. Wenn die Qualität stimmt.
Fazit: Heiligendamm ist gesundet
Und die stimmt in Heiligendamm mittlerweile. Aller ehemaligen Kritik zum Trotz. Das Negative, das man mitunter in der Presse lesen konnte, gehört der Vergangenheit an. Das Hotel erfüllt inzwischen alle Erwartungen an ein Luxusresort, gehört zur Ultratravel Collection der Global Hotel Alliance und zählt für mich zu den Top-Fünf-Resorts in Deutschland.
Den Vergleich mit Schloss Elmau oder der Sonnenalp muss man hier nicht mehr scheuen. Von den Blumen über die Kinderbetreuung bis zum eisgekühlten Champagner spürt man, dass sich das Hotel weiterentwickelt hat.
So scheint die lateinische Inschrift über dem Kurhaus nicht mehr nur für die Badegäste zu gelten, die hier neue Energie tanken dürfen, sondern auch für das Hotel Heiligendamm und seine Philosophie von Luxus. „Heic te laetitia invitat post balnea sanum“. Zu Deutsch „Frohsinn erwartet dich hier, entsteigst du gesundet dem Bade“. Ja, Heiligendamm ist gesundet, daran besteht kein Zweifel. Und das Haus wird ganz sicher zu den 101 besten Hotels Deutschlands gehören – das Ranking wird am 21. November im Handelsblatt veröffentlicht.