Im 19. Jahrhundert reiste der europäische Adel und das wohlhabende Großbürgertum in die Schweiz, um hier in Prachthotels buchstäblich über den Dingen zu schweben. Seit diesem Aufstieg der „Hôtellerie suisse“ gelten die Schweizer Grandhotels als Maßstab in Sachen Qualität und Service, an denen sich Häuser der gehobenen Kategorien weltweit zu messen haben. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wohl aber an den Wünschen der Gäste. Denn bei aller Grandezza treffen die Traditionshotels oft einfach nicht mehr den Nerv der Zeit und alte Stammgäste sterben langsam weg. Also erwacht die Luxushotellerie in der Schweiz langsam aus ihrem Dornröschenschlaf. Ein Umdenken hat begonnen, zu dem die Suche nach neuen Konzepten und einer neuen Gastansprache gehört. Denn um künftiges Wachstum zu sichern, müssen junge Gäste kommen. Also gilt es das Belle-Epoque-Parkett aufzupolieren, daneben aber auch den Wunsch nach Familienurlaub, Nähe zur Natur und Wellness zu integrieren.
Um zu sehen, ob das Konzept aufgeht, habe ich zwei der besten Spa-Resorts der Schweiz besucht.
Eden Roc, Ascona
Ascona ist der tiefst gelegene Ort der Schweiz. Es liegt auf 196 Metern über dem Meer am Nordufer des Lago Maggiore. Die malerische Umgebung des Tessin und vor allem das milde, mediterrane Klima machten dieses kleine Juwel zu einem Hotspot des Jetsets in den 60er und 70er Jahren.
In bester Seelage versteht es das Eden Roc hier, die Essenz der Hôtellerie suisse in jedes Detail einfließen zu lassen. Bei einem Schweizer Fünf-Sterne-Haus der Tschuggen Gruppe erwarte ich Höchstleistungen in Sachen Service und Qualität. Doch dass Luxus in jedem Detail so konsequent gelebt wird wie hier, habe ich selten erlebt. Das war nicht immer so. Was dem Eden Roc dabei einen ganz eigenen Charme gibt, ist, dass man sich die Patina und den leicht verblichen Glanz der Hochzeit von Ascona zu eigen gemacht hat, um daraus eine neue Gastansprache abzuleiten. Das Konzept geht auf. Nicht nur im Eden Roc, sondern auch beim Abstecher in den historischen Ortskern von Ascona stelle ich fest, dass das Publikum deutlich verjüngt ist.
Neue Führung, neuer Ansatz, neue Gäste
Das ist sicherlich nicht ausschließlich, aber zumindest ein stückweit auch Simon Spiller zu verdanken. Seit 2019 lenkt der Luzerner das Geschick des Eden Roc sowie des Schwesterhotels Albergo Carcani. Ich kenne Simon seit vielen Jahren. Er war Vize-Direktor des Brenners Park-Hotel in Baden-Baden, einem der besten Hotels in Deutschland, und ist mir dort schon durch seine herzliche, ehrliche Gastfreundlichkeit aufgefallen. Es ist also nicht nur die einmalige Lage des Eden Roc und der perfekte, unaufdringliche Service, der höchsten Ansprüchen an die Schweizer Hotellerie gerecht wird, sondern auch der zukunftsgewandte Ansatz, den das Hotel verfolgt und so den Gästemix positiv beeinflusst.
Allerdings hat sich das Eden Roc keiner radikalen Verjüngungskur unterzogen. Stattdessen scheint es mir, als würde man Design und Angebot in kleinen, aber präzise durchdachten Schritten in die richtige Richtung lenken. Das spiegelt sich unter anderem im Interior-Design wider, für das Carlo Rampazzi verantwortlich ist. Der Tessiner Star-Innenarchitekt ist für seine exzentrischen, farbenfrohen Kreationen berüchtigt und hat auch andere Häuser der Tschuggen Gruppe eingerichtet, darunter auch das Carlton in St. Moritz. Im Eden Roc ergibt sein Stil eine gelungene Mischung aus individueller Modernität und klassischer Eleganz. Man möchte nicht plötzlich zum coolen, cleanen Designhotel werden, die heitere Gelassenheit eines Badeortes und ehemaligen Fischerdorfes schwingt hier immer mit – man muss es mögen.
Dolce Vita auf dem Wasser
So wird das Haus auch von seiner starken Verbindung zum Wasser geprägt. Wer nicht nur den spektakulären Blick auf das funkelnde Blau des Lago Maggiore von der herrlichen Gartenanlage aus genießen möchte, kann sich im Eden Roc über ein mangelndes Angebot an Aktivitäten nicht beschweren: Nebst Wakesurf, Wasserski, Wakeboard, Bananaboot, hauseigenen Kajaks und SUP-Boards, stehen Segelyachten und exklusive Motorboote für die Hotelgäste bereit.
Mein Favorit, um den Lago Maggiore zu erkunden, ist ganz klar die wunderschön restaurierte Riva. Vom hoteleigenen Bootsanleger in diesem legendären, eleganten Motorboot Richtung Italien zu starten, ist ein ganz besonderes Erlebnis. Zum Luch bringt mich der Bootsführer auf der italienischen Seite des Sees in ein hervorragendes Restaurant, das Tre Terre. Der Sommerhimmel leuchtet mit dem Wasser um die Wette, dazu das Panorama der Tessiner Berge. Ich mache es kurz: Das ist Dolce Vita in seiner schönsten Form.
Um Dolce Vita oder besser dolce far niente geht es auch im riesigen, modernen Spa mit zwei Innen- und Außenpools, diversen Saunen, Ruheräumen und einem wirklich erstklassigen Angebot an Anwendungen und Treatments.
Frischer Wind in der Spitzengastronomie
Und auch was die Gastronomie angeht, wird der Mut zum Wandel im Eden Roc klar. Das Hotel bietet vier Restaurants, darunter das mit 15 GaultMillau Punkten ausgezeichnete Eden Roc und das Signature Restaurant La Brezza mit einem Michelin-Stern und 17 GaultMillau Punkten. Hier hat man sich mit dem erst 27-jährigen Küchenchef Marco Campanella die GaultMillau „Entdeckung des Jahres im Tessin 2019“ ins Haus geholt. Campanella stammt aus der Talentschmiede von Andreas Caminada – mit drei Michelin-Sternen der beste Koch der Schweiz. Passenderweise bedeutet La Brezza auf Deutsch soviel wie frische Brise. Das bezieht sich nicht nur auf die herrlich frische Seeluft, sondern auch auf die hoch innovative Küche, die hier in sensationeller Optik in einem vier- bis siebengängigen Menü serviert wird.
Nachhaltigkeit steht im Fokus
Und noch einen weiteren Punkt möchte ich gern hervorheben, der Hotelgästen oft verborgen bleibt, aber deutlich macht, dass die Tschuggen Group die Zeichen der Zeit sehr gut verstanden hat. Dank nachhaltiger Bautätigkeit, schonendem Einsatz von Ressourcen, Reduzierung des CO2-Ausstoßes und entsprechender Schulung der Mitarbeitenden sind alle Hotels der Gruppe seit 2019 klimaneutral. Und das von Check-in bis Check-out. Auf den Zimmern zeigt sich das in Niedrigenergie-Geräten, Bio-Produkten, Mülltrennung und Recycling. Auf PET-Flaschen wird komplett verzichtet und im Housekeeping kommen nur Eco-zertifizierte Reinigungsmitteln zum Einsatz. Auch die Gastronomie wir größtmöglich regional und durch nachhaltigen Einkauf bestückt. Küchenabfälle gehen an Produzenten von Biogas-Treibstoffen. Auch in diesem Punkt ist das Haus also bereit für einen modernen Tourismus.
Das Victoria Jungfrau in Interlaken
Vom tiefst gelegenen Ort der Schweiz mache ich diverse Höhenmeter wett. Bis auf über 2.000 Meter wird mich meine Schweiz Reise noch führen. Doch dazu später mehr. Wenn es darum geht, moderne Hotellerie zu etablieren, ohne dabei den historischen Charakter der Belle-Epoque-Grandezza zu verdrängen, macht das Victoria Jungfrau in Interlaken vor, wie es geht. Auf über 150 Jahre Geschichte kann das Fünf-Sterne-Haus zurückblicken. In meinem Gespräch mit Hoteldirektor Peter Kämpfer – im besten Sinne ein Grandseigneur der alten Schule und absoluter Vollblut-Hotelier – fällt ein schöner Satz: „Das Haus ist voller positiver Widersprüche.“ Das stimmt. Es gibt den Ballsaal von 1866, der immer noch im Originalzustand erhalten ist. Es gibt aber auch ein phantastisches Gym, in die neuesten Geräte auf bewegungshungrige Gäste warten. Ein Fitnesscenter in dieser exzellenten Ausstattung habe ich so noch nie gesehen. Beide Welten werden im Victoria Jungfrau optimal zusammengebracht. Dass ein Grandhotel dieser Größe, für die Schweiz sind rund 200 Zimmer und Suiten gigantisches Ausmaß, immer noch so persönlich und familiär geführt werden kann, begeistert mich.
Bestnote für den Spa – und seinen Manager
Vor der Tür des Hotels lockt selbstreden die Natur des Berner Oberlandes, aber allein der Wellnessbereich wäre schon eine Reise wert. Was mir hier geboten wird, ist absolute Weltklasse. Der Spa steht unter der Leitung von Hans Peter Veit, für mich der beste Spa-Profi weltweit. Er gilt als Visionär der relevanten Wellnesstrends und versteht es wie kaum ein anderer ein perfektes Team für die Umsetzung seiner Visionen zusammenzustellen.
Außerdem, und in meinen Augen ist das das Außergewöhnlichste an ihm, er macht immer noch mit. Hans Peter Veit hat die besten Spas der Welt, darunter die Villa Stéphanie in Baden-Baden, geformt, ist aber absolut bodenständig und nahbar. Er geht durchaus mit den Gästen eine Runde wandern und schwingt sich – in meinem Fall – auch selbst mit aufs Rad. Unter strahlend blauem Himmel machen wir uns vom Hotel Richtung Grindelwald auf. Von hier geht es in extremem Anstieg hoch zur kleinen Scheidegg. Als 700 Höhenmetern vor dem Ziel der Motor des Elektrobikes ausfällt, stelle ich mir zum ersten Mal die Frage, ob wir nicht doch besser die Bergbahn genommen hätten. Doch Hans Peter Veit erweist sich als echter Motivator – um an dieser Stelle das Wort Quälgeist zu vermeiden.
Wir beschließen zumindest ein Fahrrad zu schieben, bei Rund 21 Kilo Gewicht auch nicht die leichteste Übung. Doch die Anstrengung lohnt sich. Auf 2.077 Höhenmetern bietet sich ein phänomenaler Blick auf die Eiger Nordwand und das Jungfraujoch. An Spitzentagen besuchen über 5.000 Gäste aus aller Welt den sogenannten „Top of Europe“. Corona geschuldet ist es jetzt in den Berner Alpen jedoch vergleichsweise ruhig. Den einzigartigen Blick ohne touristischen Trubel genießen zu können – das ist Luxus pur. Im Vergleich zur anspruchsvollen Auffahrt, ist die Abfahrt Richtung Wengen dann fast schon ein Kinderspiel. Im Winter rasen hier die schnellsten Weltcup-Skifahrer den Hang hinunter, für sportbegeisterte Sommergäste ist die Streck aber auch per Fahrrad ein fantastisches Erlebnis.
Neue und alte Bekannte
Zurück im Hotel habe ich mir eine Massage mehr als verdient. So lerne ich im Spa Bernadina kennen, eine unglaublich interessante Persönlichkeit. Die Osteopathin und Massagetherapeutin ist halb russischer, halb kapverdischer Abstammung, spricht sieben Sprachen und – an dieser Stelle ein großes Lob – lässt mir die beste Massage meines Lebens zukommen. Eine weitere Begegnung, die mich besonders gefreut hat, ist hier auf meinen alten Kollegen Mustafa Kattan zu treffen, der sich im Victoria Jungfrau erfolgreich um den Vertrieb kümmert. Nicht nur die Schweiz, auch die Hotelwelt ist eben klein.
Einziger kleiner Wermutstropfen in Bezug auf das Hotel ist die Gastronomie. Das war geboten wird, ist von allerbester Qualität, keine Frage, doch ein Restaurant mit Michelin-Stern stünde einem Grandhotel wie dem Victoria Jungfrau sicherlich gut zu Gesicht. Doch das ist Jammern auf sehr, sehr hohem Niveau.
Der Schweizerhof in Luzern
Da aller guten Dinge bekanntermaßen drei sind, hier noch eine Empfehlung zum Schluss. Sollten Sie eine Reise in die Schweiz planen und über den Züricher Flughafen anreisen, sparen Sie sich die Übernachtung in der Stadt, sondern reisen Sie direkt weiter nach Luzern. Mit dem Schweizerhof erwartet Sie hier in bester Lage und mit herrlichem Ausblick auf den Vierwaldstättersee ein wirklich außergewöhnlich sympathisches und exzellentes Stadthotel. Seit über 150 Jahren besitzt die Gastgeberfamilie Hauser das Fünf-Sterne-Haus, in dem schon Mark Twain, Richard Wagner, Leo Tolstoi oder Kaiserin Eugénie und Napoleon III nächtigten.
Mit Hoteldirektor Clemens Hunzinger wirkt hier seit vielen Jahren zudem einer der besten Gastgeber, der mir bekannt sind. Hier bekommt man den besten Eindruck davon, was die Hôtellerie suisse so einzigartig macht. Konsequenter Fokus auf den Gast und Premium-Qualität. Nicht nur in der Villa Schweizerhof, dem mit GaultMillau 13 Punkten ausgezeichneten Gourmetrestaurant des Hotels, sondern wirklich in jedem einzelnen Detail.
Mein Fazit: Alles richtig gemacht
Wenn sich die renommierten Traditionshäuser den historischen Glanz des 19. Jahrhunderts bewahren und gleichzeitig eine moderne Infrastruktur und kreative Gastronomie einführen, muss man sich um die Luxushotellerie in der Schweiz wirklich keine Sorgen machen.