Sissi mit Smartphone: Das Sacher Hotel Wien

Die Sachertorte ist ein kulinarisches Kulturdenkmal nicht nur Österreichs, sondern ganz Europas. Dasselbe gilt für das Hotel, in dem sie erfunden wurde. Fühlt man sich dort wie im Museum oder ist der Mythos Sacher auch heute noch ein Maßstab für Luxus?  

Ein Wochenende in Wien, ein Stück Sachertorte an ihrem Ursprungsort, leise Klaviermusik und das charmante Säuseln der Bedienung, die den duftenden Kaffee serviert, während draußen ein Fiaker vorbeiklappert: Das ist so ziemlich die kitschigste Postkarten-Idylle, die man sich vorstellen kann. Ob man sich daran erfreut oder schon vom Gedanken daran einen touristischen Zuckerschock bekommt, ist Geschmackssache.

Die Frage ist: Ist das alles oder steckt noch mehr hinter dem Mythos Sacher? Wie gut ist das berühmte Haus, dessen Name Menschen auf der ganzen Welt ehrfürchtig nicken lässt, eigentlich als – ja, Hotel? Gibt es neben der Torte gute Gründe, dort auch in der grenzenlosen Reisewelt des 21. Jahrhunderts noch einzukehren? Ist die Legende einen Besuch wert – und sei es für eine luxuriöse Nacht zur Silberhochzeit oder auch nur für einen Einspänner als Highlight des Wochenendtrips?

Spoiler-Alert: Die Antwort ist „ja“ – und zwar in Buchstaben, die so groß sind, dass diese Seite dafür zu klein ist. Das „Hotel Sacher“ ist damals wie heute eines der besten Hotels Europas. Lassen Sie mich erzählen, warum – ein Sahnehäubchen nach dem anderen.

Alte Schule – zeitlos interpretiert

Beginnen wir mit der Gretchenfrage: Mit welcher Art Hotel haben wir es zu tun? Die Antwort ist so einfach wie erklärungsbedürftig. Das „Hotel Sacher“ in Wien ist ein klassisches Grand Hotel im ursprünglichen Sinne.

Heute, wo es so viele Arten von Hotels gibt wie Maßkrüge auf dem Oktoberfest, muss man das erklären. Ein echtes Grand Hotel, wie César Ritz es als erster geprägt hat, zeichnet sich vor allem durch seine Kompromisslosigkeit aus.

„Geht nicht, gibt’s nicht“ – dieser Spruch wurde von Hoteliers erfunden. In einem echten Grand Hotel ist der Gast der Maßstab für alles – ohne Wenn und Aber. Diese Haltung durchdringt jede Nische des Hauses, jeden Mitarbeiter, jede große Geste und jede kleine Aufmerksamkeit.

Wenn Sie gern reisen und öfter mal in einem Hotel einkehren, dann ahnen Sie nach dieser Beschreibung: Es gibt nicht mehr viele echte Grand Hotels auf der Welt.

Aber das ist nicht das Beste am „Sacher“. Was mich wirklich nachhaltig beeindruckt, ist, dass diese alte Schule vornehmer Gastfreundschaft sich kein Stück mit der modernen, digitalen, weltumspannenden Lebensart moderner Reisender beißt.

Das „Hotel Sacher“ ist, bei aller Tradition und Regeltreue, auch ein zeitgemäßes, hochmodernes Luxushotel mit allen Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts. Über die verfügen die besten Hotels zwar überall auf der Welt – aber in Kombination mit der einzigartigen Gastgeberkultur im „Sacher“ wird daraus ein Gesamtpaket, das es so nur einmal gibt.

Das alte Wien in ganzer Pracht

Sacher Hotel Eingangsbereich

Eines lässt sich nicht leugnen, und da ist das Sacher dann doch Geschmackssache: Wenn man nur das Design betrachtet, fühlt man sich hier tatsächlich wie im Museum.

Von den Marmorkacheln der Fußböden über die Messinglüster, die facettierten Glastüren, die K&K-Porträts an den Wänden und das geölte Parkett bis zu den Intarsien der Antikmöbel: Dies ist das alte Wien in seiner ganzen Pracht. Hier würde man nicht zucken, wenn sich im letzten Moment eine spitzenbewehrte Damenhand zwischen die Aufzugtüren schiebt und Sissi im Ballkleid zusteigt – nur eben mit Smartphone.

Underdressed und Spaß dabei

Je schneller man sich abgewöhnt, sich in seiner bequemen Stadtbummel-Jeans underdressed zu fühlen, desto besser. Man kann in diesem Hotel nicht overdressed sein, so nobel glänzt jede Nische. Und das liegt nicht am klassischen Interieur allein, sondern auch am makellosen Pflegezustand. Das Housekeeping arbeitet wie ein Uhrwerk: kein Stäubchen, nirgends. Perfektion wohin man blickt: Wo gibt es das heute noch?

Wenn auf dem Weg von der Lobby zum Restaurant noch Zweifel bestehen, dass man sich an einem historischen Ort befindet, beseitigen die hübsch gerahmten Fotografien aus 150 Jahren die letzten Zweifel: Alles, was seit der Eröffnung 1876 Rang und Namen hatte, war hier und wurde verewigt: Könige und Kaiser, Prinzen und Prinzessinnen, Stars und Sternchen – es würde schneller gehen aufzuzählen, wer nicht hier war.

Nicht der Erfinder der Sachertorte übrigens hob das Hotel damals aus der Taufe, sondern sein Sohn Eduard. Da war die Torte schon schlappe 34 Jahre alt. Eduards Vater Franz Sacher hatte sie für Fürst Metternich erfunden – als Lehrling im zarten Alter von 16 Jahren!

Hinter all dem Pomp und Plüsch verbirgt sich eine zeitgemäße Luxus-Ausstattung, die im Gegensatz zu manchem Promi-Foto alles andere als vergilbt ist. Meine Suite ist der Traum jedes Hotelenthusiasten: Alles ist erwartungsgemäß klassisch-nobel – als hätte man eine Ausgabe von „Schöner Wohnen“ aus dem Jahr 1880 aufgeschlagen.

Zugleich wirkt nichts alt. Die Raum- und Lichttechnik ist auf dem neuesten Stand, das WLAN funktioniert tadellos, das Schlüsselkarten-System ist schmerzfrei. Auch der Spa-Bereich im fünften Stock ist up to date. Leider ist er allerdings sehr klein geraten – hier mag mancher verwöhnte Wellness-Enthusiast doch ein wenig enttäuscht sein.

Im direkten Vergleich ist das Schwesterhotel „Sacher Salzburg“ vielleicht noch etwas frischer und jünger als das Wiener Stammhaus. Dafür ist die Professionalität und Erfahrung in der Gastbegegnung hier absolut unschlagbar. Womit wir beim wichtigsten Kriterium jedes Top-Hotels angelangt wären: dem Service.

Sacher Hotel Suite

Gastgeber, wohin das Auge blickt

Schon beim Check-in merke ich, wie ernst die Gasterfahrung hier genommen wird. Die Rezeptionistin wartet nicht hinter dem Tresen auf mich – sie kommt quer durch die Lobby auf mich zu. „Herr Rath, wie schön, Sie wiederzusehen! Das letzte Mal sind wir uns vor 18 Monaten im ‚Hyatt‘ in Düsseldorf begegnet, wissen Sie noch?“

Ein Zufall, gewiss, dass sie inzwischen nach Wien gewechselt hat. Aber wie hochprofessionell, diesen Joker für eine herzliche, persönliche Begrüßung einzusetzen! Ich habe noch nicht einmal mein Zimmer gesehen, und schon jetzt bin ich hin und weg.

Sacher Hotel Mitarbeiter

Begrüßung mit Blumen und Petits Fours

So kann es weitergehen, und das tut es auch: Kaum habe ich meine Suite betreten, steht ein Mitarbeiter mit einem frischen Blumenbukett vor mir: „Für Sie, lieber Herr Rath, willkommen im ‚Hotel Sacher‘!“, schmettert er mir strahlend entgegen, bevor er zwei Dutzend Rosen auf meinem Tisch drapiert.Sekunden später geht die Parade weiter: Der nächste Mitarbeiter, der nächste Strauß für den anderen Raum, noch mehr Strahlen. Zwei Sträuße reichen doch, oder? Nichts da: noch einer folgt auf dem Fuße.

Auch Mitarbeiter Nummer vier lässt nicht lange auf sich warten: ein frischer Obstteller, und im Gänsemarsch hinterher ein weiterer Strahlemann – mit Petit Fours, hausgemacht versteht sich, drapiert um eine Miniatur der Hofburg. Drei, vier Minütchen nur dauert die perfekt koordinierte Prozession, dann sind sie alle fünf wieder weg – und meine Suite noch schöner als vorher.

Sacher Hotel Pralinen

Die perfekte Inszenierung hat System – überall in diesem Hotel. Schon vor dem Eingang reichen sich Wagenmeister und Bellboy einander charmant die Gäste weiter und spielen sich auch verbal die Bälle zu, als wären sie Protagonisten eines amüsanten Theaterstücks. Von ihnen, wie von ausnahmslos jedem hier, werde ich vom ersten Moment an mit Namen begrüßt. Das ist eine geradezu magische Fähigkeit des Sacher-Services, die ich schon am Schwester-Hotel in Salzburg bewundert habe.

Bis hin zur Reinigungskraft kennt jeder einzelne seine Pappenheimer, bevor sie auch nur das Haus betreten haben. Als Gast, so der Claim des Hotels, wird man zum Teil der Sacher-Familie. Das behaupten viele Hotels – im Sacher stimmt es. In manchen Häusern muss ich mit der Lupe suchen, um einen einzigen echten Gastgeber zu finden. Hier kann ich mich kaum vor ihnen retten.

Lediglich, dass ich bei einer späten Ankunft nachts um halb eins keinen Doorman und keinen Concierge antreffe, verwundert mich etwas – vielleicht habe ich ihn einfach nur verpasst. Gerade an einem so menschenfreundlichen Ort fühlt es sich merkwürdig kalt an, wenn man plötzlich einmal in eine leere Lobby hineinläuft.

Küche ohne Tadel – und ohne Experimente

Die kulinarische Auswahl im „Sacher“ ist überbordend: Ganze neun verschiedene Gastro-Konzepte vereint das Haus unter seinem Dach. Im „Sacher-Eck Wien“, einem klassischen Kaffeehaus-Konzept mit feinsten Kaffee- und Confiserie-Spezialitäten, stehen die Gäste bis auf die Straße hinaus Schlange für einen Tisch. Das können auch nicht viele Hotels von sich behaupten.

Die Speisen sind ohne Ausnahme hervorragend. Ich nehme mehrere Mahlzeiten zu allen denkbaren Tageszeiten in verschiedenen Restaurants ein, und nicht eine enttäuscht mich. Zugegeben, keine davon erfindet die Kulinarik neu – aber das würde zu diesem Haus auch gar nicht passen.

Perfekter Service

Abheben kann die Gastronomie sich trotzdem, nämlich einmal mehr mit dem Service. Mein Frühstückskellner Alexander wirkt, als sei er im „Sacher“ und für das „Sacher“ geboren worden. Und sein Service fühlt sich an, als könnte er meine Gedanken lesen.

„Herr Rath, womit darf ich Sie denn heute verwöhnen? Ach, Sie arbeiten nebenbei? Schauen Sie, ich räume Ihnen mal das Geschirr beiseite und baue Ihre Speisen hier am Nebentisch auf.“ Am nächsten Tag muss ich schon praktisch gar nichts mehr sagen: Alexander hat sich alle meine Vorlieben bis ins Detail gemerkt, und mein perfektes Frühstück erscheint wie von Zauberhand vor meiner Nase. Es ist wie im Schlaraffenland!

Das Frühstück lässt keine Wünsche offen

Auch das Frühstück selbst lässt keine Wünsche offen. Zugegeben: So leicht wie das Sacher haben es die wenigsten Hotels, schon bei der ersten Mahlzeit des Tages mit einem regionalen Bezug zu glänzen. Leicht erhöht thront sie auf einem Teller inmitten der anderen süßen Leckereien im Zentrum des Frühstücksbuffets: die Original-Sachertorte. 360 000 Stück stellt das „Hotel Sacher“ pro Jahr her – knapp 1000 am Tag also!

Kinderbüffet auf Zwergenhöhe

Drumherum gibt es alles, was das Herz begehrt, nur von allem ein bisschen mehr als üblich: nicht zwei oder drei, sondern ein Dutzend Müslis und Cerealien. Der Käsewagen bringt jeden Gourmet zur Verzweiflung, weil man einfach nicht alle Sorten probieren kann.

Neben den Klassikern gibt es eine ganze Reihe an kleinen, vorportionierten und liebevoll angerichteten Salaten im Glas. In einer eigenen Nische erfreut die üppige Saft- und Obstbar – alles immer gerade erst gepresst, gerade erst aufgeschnitten. Ein besonders liebenswürdiges Detail ist das kleine Kinderbüffet, das Gesundes und Süßes gleichermaßen auf Zwergenhöhe anreicht.

Auch die berühmte „Blu Bar“, immer gut gefüllt, gehört zweifellos zu den gemütlichsten Hotelbars im deutschsprachigen Raum – übertroffen höchstens noch von der im Hotel „Vier Jahreszeiten“ in Hamburg. Hier ist die Stimmung immer gut, und der Bellini eine Augen- und Gaumenweide für Cocktail-Liebhaber.

Fazit: Eins der besten Hotels Europas

Das „Hotel Sacher“ in Wien ist auch nach 150 Jahren noch eines der besten Hotels in Europa. Es gehört zur schrumpfenden Riege der letzten waschechten Grand Hotels auf der Welt. Allein dafür ist es eine Reise wert. Nur eines mag manchen modernen Kosmopoliten abschrecken: Das „Hotel Sacher“ wird immer ein museal eingerichtetes Herzstück des klassischen Wiener Stils sein.

Aber wer hier eincheckt und sich hinterher darüber beschwert, der hat kein Herz und keinen Verstand. Im „Hotel Sacher“ ist die Welt eben noch in Ordnung. Allein dafür verdient es seinen Denkmalschutz. Wen das stört, der möge weiterziehen: Minimalistische Möchtegern-Grand Hotels gibt es genug auf der Welt.

Die Wertung auf der Travelgrand-Skala: 
1. Ausdrückliche Reisewarnung
2. Besser als unter der Brücke
3. So la-la, nicht O-la-la
4. Meckern auf hohem Niveau
5. Wenn’s nur immer so wäre
6. Ganz großes Kino


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