Flecken im Teppich, Lücken im Service: Hotelexperte Carsten K. Rath checkt an der alten Wirkungsstätte ein – und erlebt manche Überraschung.
Eine Warnung vorab: Dies ist keine neutrale Hotelrezension. Das sind meine Insider-Berichte an dieser Stelle zwar nie, doch dieses Mal will ich ausdrücklich voranstellen: Bei diesem Hotel ist es mir unmöglich, objektiv zu sein. Denn für das Adlon hege ich ganz besondere Gefühle.
Der Grund dafür ist, dass es einer der Meilensteine meiner eigenen Laufbahn in der Grand Hotellerie war. Als erster Hotelmanager habe ich das berühmteste Hotel Deutschlands vor, während und nach der Eröffnung unter dem damaligen Managing Director Jean K. van Daalen einige Jahre lang begleitet. Mit großer Leidenschaft und Geste haben wir es 1997 mit einem tollen Team in Anwesenheit des Bundespräsidenten Roman Herzog wiedereröffnet.
Eine so intensive Erfahrung hinterlässt ihre Spuren – das werden nicht nur Hoteliers nachvollziehen können. Ich bin diesem Haus tief verbunden. Ich will, dass es gut dasteht; nein, exzellent soll es sein.
Entsprechend bin ich bei meiner Anreise kurz vor Ostern natürlich voller Erwartungen und Vorfreude auf „mein Adlon“. Natürlich versuche ich mich zu fokussieren auf das, was ich auch bei jedem anderen Hotel genau unter die Lupe nehmen würde. Denn aus den oben genannten Gründen möchte ich nicht übermäßig positiv gefärbt schreiben oder in Nostalgie verfallen.
Leicht fällt mir die professionelle Distanz also nicht. Und vielleicht ist das gerade richtig so. Denn das Adlon muss die Erwartungen an jedes andere Luxushotel nicht nur erfüllen; es muss sie übertreffen. Umso größer ist der Schock, als ich mich an meiner alten Wirkungsstätte umsehe. Was ist aus dem ersten Haus am Platz, der Kempinski-Gruppe, ja der Republik geworden?
Adlon – ein Hotel mit großer Historie
Natürlich schaue ich als Insider des Hauses automatisch genau da hin, wo es weh tun kann. Und leider tut es weh. Gewiss ist auch ein Fünf-Sterne-Hotel nach 22 Jahren nicht mehr neu. Doch es gibt einen Unterschied zwischen Patina und Schmutz.
Dass ich schon auf den ersten Metern und in der nach wie vor traumhaft schönen Lobby überall Schönheitsfehler entdecke, ist sehr wohl vermeidbar. Die Bodenfliesen am Eingang unter der Tür – völlig zerfurcht vom Türmechanismus. An der Wandvertäfelung in den Gängen – viele schwarze Striemen. Der Ascher vor dem Eingang sieht aus, als hätte ihn in diesem Jahr noch niemand gereinigt.
Im Aufzug kann man gar nicht anders, als die zerkratzten Türen und die Schäden der Holzverkleidung anzustarren. Und auch die Tastenleiste ist mit Fingerabdrücken übersät. All das ist vollkommen unnötig – wenn irgendjemand im Haus regelmäßig nach dem Rechten sieht und seinen Auftrag dabei ernst nimmt. Doch scheinbar tut das hier niemand. Es läuft ja – oder?
Auf meinem Zimmer wird es nicht besser: Die Lederflächen der Möbel im Zimmer – von Macken übersät, die sich durchaus auspolieren lassen. Der dekorative Matratzenschoner ist schmuddelig, die Bettwäsche faltig, der Teppich voller auffälliger Flecken. Sogar die Vorhänge sind schlampig drapiert – und das ist ein Fehler, der nun wirklich heute Morgen gemacht wurde. Die Fenster sind ebenfalls schmutzig, und zwar innen wie außen.
An Details merkt man, dass im Management offenbar der Kleingeist Einzug gehalten hat: Aus unerfindlichen Gründen gibt es nur einen Bademantel im Doppelzimmer. Zur Marken-Kapselmaschine gibt es No-name-Kapseln. Wasserkocher und Tee gibt es gleich gar nicht.
Im Bad geht das Trauerspiel weiter: Neben einem hochwertigen Duschgel von Ferragamo stehen billiges Shampoo und Conditioner von einer Hausmarke. Auf diese Weise die Qualitäten zu mischen wirkt sinnlos, weil offensichtlich effizienzgetrieben.
Die besondere Aura ist noch spürbar
Zum Glück erweisen sich die Design-Entscheidungen zur Wiedereröffnung und die behutsamen Updates der Folgejahre noch immer als schlüssig: Das Interieur bildet einen gelungenen Spagat zwischen dem alten und dem nun auch nicht mehr ganz neuen Adlon.
Wer nicht zu genau hinschaut und zum ersten Mal ein Zimmer im Adlon betritt, kann die besondere Aura vielleicht noch immer spüren. Doch man muss als Gast bei dieser oberflächlichen Betrachtung bleiben, um begeistert zu sein. Nur nicht zu genau hinschauen, dann ist alles irgendwie okay.
Beim Turn-down-Service erkenne ich endlich eine Spur der Service-Philosophie wieder, die hier vor vielen Jahren – noch unter dem Motto „Adlon oblige“ – installiert wurde: Der Mitarbeiter spricht mich mit Namen an.
Dass der Turn-down-Service um 17:30 Uhr stattfindet, kann ich allerdings wieder nur als Rationalisierungsmaßnahme verstehen. Traditionell dient er dazu, dass der Gast ein gemachtes Bett vorfindet, wenn er vom Essen kommt und sich zur Ruhe begibt. Aber wer geht in Europa um 17:30 Uhr ins Bett?
Adlon oblige? Hier obliegt es mir als Gast, drüber hinwegzusehen, was mich stört. Gästen, die nicht so genau hinschauen, mag das gelingen. Erfahrene Grandhotel-Gäste mit Vergleichsmöglichkeiten am oberen Ende der Skala aber werden sich hier genauso fragend umsehen wie ich: Wo sind die guten alten Zeiten hin?
Wo ich auch hinsehe: Es fehlt an Liebe – an Liebe zur Marke Adlon.
Bei der Haltung der Gastgeber im Service trennt sich in der Grandhotellerie die Spreu vom Weizen. Jeder kleine Schnitzer in der Ausstattung und sogar ein zu hoher Preis sind verzeihlich, wenn ein Luxushotel über Führungskräfte und Mitarbeiter verfügt, die ihm eine Seele einhauchen.
Schon am Eingang auf dem Weg zum Check-in umweht mich eher ein kalter Hauch. Die einst so stolzen Doormen und Pagen stehen gelangweilt vor der Tür herum. Statt einem Gruß bekomme ich einen verstohlenen Blick von der Seite, dann wendet der Doorman sich wieder seinem Smartphone zu. Genau diese Mitarbeiter waren früher einmal die Aushängeschilder des Service im Adlon. Der erste und letzte Kontakt mit dem Gast – das war ein begehrter Posten.
Die jungen Damen und Herren brannten damals für ihren Job, wollten die Gäste überraschen und begeistern. Bei meiner Ankunft ist niemand „heiß“. Der eine wühlt in einer Schublade; der andere läuft hin und her, als wollte er jemandem ausweichen. Früher sorgte die Führung an diesen wichtigen Touchpoints nachdrücklich für geschärfte Sinne; heute wirkt hier alles eingeschliffen und eingeschlafen.
Beim Check-in gibt es dagegen richtig Grund zur Freude: Die Mitarbeiterin erkennt mich nicht nur von meinem letzten Besuch wieder und hat den Prozess professionell im Griff. Sie ist dabei auch ausgesprochen herzlich und effektiv – das Highlight meines Aufenthalts.
Hier zeigt sich ganz deutlich, warum es so wichtig ist, dass auch Adlon drin ist, wo Adlon draufsteht: Wenn die Gastgeber den besonderen Anspruch dieses Hauses verinnerlichen und ausstrahlen, wie es diese Mitarbeitern tut, kann das alles andere kompensieren.
Beim Service in der Gastronomie ist es mit der Freude leider schnell wieder vorbei. Selbst wenn ich von meinen Ansprüchen an Service Excellence Abstand nehme und die Mindestanforderungen an ein Hotel dieser Klasse betrachte, hält sich die gastronomische Kompetenz der Service-Kräfte in Grenzen. Wenn die ganz normale Flasche Wein um 50 Euro kostet und schon das kleine Glas einen Zehner und mehr, müssen in der Gastbetreuung mindestens die Basics sitzen.
Leider weiß die Kellnerin in der Lobby aber nichts über die Zusammensetzung des Cuvée auf ihrer Karte zu berichten, für das ich mich interessiere. Dafür dauert es verdammt lange, bis ich mein Glas in der Hand halte. Jedes Mal, wenn ich etwas will, muss ich sehr um die Aufmerksamkeit der Bedienung kämpfen.
In einem der Cafés draußen Unter den Linden, wo sich die durstigen Touristen stapeln, mag das normal sein. Aber nicht in der Bar des Adlon. Auch die Mitarbeiter hinter dem Tresen haben zwar eine Menge Spaß miteinander – was ich begrüße. Wichtiger wäre allerdings, dass sie auch dafür sorgen, dass die Gäste beglückt sind.
Zur Ehrenrettung gereicht dem Service in der Lobby am weniger überfüllten Abend eine junge Mitarbeiterin, die ihren Job richtig gut macht. Ein Manager ist – wie während meines gesamten Aufenthalts – nirgendwo zu sehen, was in der Lobby eines Grandhotels immer suboptimal ist. Vielleicht klappt gerade deswegen plötzlich alles besser?
Das Frühstück ist mit 45 Euro pro Person standesgemäß das teuerste der Republik. Das ist in einem Haus wie dem Adlon vertretbar – aber nur, wenn es dann auch herausragend ist. Die gute Nachricht zuerst: In puncto Auswahl ist das Buffet tatsächlich hervorragend. Von der Brot-Selektion über die verschiedenen Lachse, Marmeladen, Käse und die Müsli-Optionen bleibt hier erst einmal kein Wunsch unerfüllt.
Bleibt die schlechte Nachricht: Die Qualität der Rohprodukte ist den üppigen Preis nicht wert. Camembert, Schinken, Wurst – alles ist völlig in Ordnung, aber nichts davon ist großartig. Und nichts weniger darf ich angesichts des Preises erwarten.
Hinzu kommt, dass auch hier der Service wieder in Ordnung ist, aber alles andere als optimal: Die Köche stimmen sich nicht ab. Die Mitarbeiter reichen sich die Gäste untereinander nicht weiter. Mein Name wird zwar erfragt, dann aber nicht mehr zur Ansprache genutzt.
„Alles soweit in Ordnung“ – wenn das das Beste ist, was ich über den Service in diesem Hotel sagen kann, dann ist gar nichts in Ordnung.
Früher Treffpunkt, heute Denkmal
Auch dass Teile des Interieurs brachliegen, die bei der Wiedereröffnung ganz bewusst als vormals zentrale Elemente des Konzepts wieder integriert wurden, erschließt sich mir nicht. Die wunderschönen Wintergärten zum Beispiel waren dem alten Lorenz Adlon stets sehr wichtig gewesen.
Hier saß die Spitze der Gesellschaft gern für Unterredungen beisammen. Warum dieses architektonische Highlight nun nicht einmal mehr möbliert ist, sondern leer steht und einstaubt, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Das ist, als würde man Balkone anbauen, aber die Balkontür verschließen.
Das Adlon, das war das erklärte Ziel bei der Wiedereröffnung, sollte eben kein Denkmal sein. Die Vision bestand darin, das wichtigste, weil beste Hotel der Republik wieder zu dem Treffpunkt des gesellschaftlichen Lebens zu machen, der es zu Stresemanns Zeiten schon einmal gewesen war.
Das Adlon stand für alles, was die Grand Hotellerie besonders macht: große Momente, Liebe zum Detail, Eleganz, Noblesse, Großzügigkeit. Dieses Erbe scheint, so wie vieles andere in der aktuellen Version des Adlon, vergessen.
Es braucht keine Adleraugen um zu erkennen: Der Rationalisierungswahn der Manager hat den einmaligen Stil dieses Hauses vertrieben. Das Adlon lebt heute erkennbar von seiner grandiosen Substanz – doch auch die bröckelt bereits, weil sie nicht angemessen gepflegt wird.
In seiner momentanen Verfassung wird das Adlon wohl keine Probleme haben, Touristen zu erfreuen, die das Hotel wie einen Punkt auf ihrer Sightseeing-Liste betrachten und nicht wiederkommen. Doch Anspruchsvolle und Kenner lassen sich so nicht begeistern, und schon gar nicht auf Dauer.
Meine Hoffnung ist, dass die zukünftige Kempinski-Führung in Genf sich dieser Baustelle radikal annehmen wird. Das Adlon ist nicht nur ein Flaggschiff der deutschen Hotellerie, sondern auch ein Aushängeschild der traditionsreichsten deutschen Hotelgruppe – oder sollte es sein.
Fazit: Auf dem Weg in die Durchschnittlichkeit
Das große Adlon ist nicht mehr einmalig, es ist vergleichbar. Vergleichbarkeit führt zur Austauschbarkeit. Und die führt, wenn es um die Spitzenposition geht, irgendwann zur Irrelevanz. Wenn ich meine Gasterfahrung hochrechne, steht das Adlon nicht am Anfang dieses Weges; es kriecht auf die Zielgerade zu. Und bei diesem Hotel geht es nicht um eine gemütliche Laienwertung auf irgendeiner Bewertungsplattform – es geht um die Riege der internationalen Top-Häuser.
Nach meiner Einschätzung schafft es das Adlon derzeit nicht unter die zehn besten Hotels in Deutschland. Ich bin mir, und das kann ich selbst kaum fassen, noch nicht einmal sicher, ob es zu meinen zehn besten der Hauptstadt gehört. Und das zerreißt mir das Herz. Das zeitlose Credo „Adlon oblige“ muss wiederbelebt werden – oder das Drama wird seinen Lauf nehmen.