Citizen M – You get what you pay for?

Das Hotel Citizen M – Tower of London wirbt offensiv mit „Luxury for less” – und das in einer der besten Lagen Londons. Was ist dran am Versprechen?

Wenn es eine Stadt in Europa gibt, in der man den Wandel der Hotellerie am Puls der Zeit nachvollziehen kann, dann ist es London. Brexit hin oder her: Die Weltmetropole ist gegen Langeweile immun – und die besten ihrer Hotels spiegeln das.

Die 2008 in Amsterdam gegründete Kette Citizen M geht dabei einen neuen Weg: Die Erfinder – denn Hoteliers sind sie nicht – haben sich auf die Fahnen geschrieben: „Luxury for less“. Und das direkt am Tower of London? Eine Stimme in meinem Hinterkopf sagt: „You get what you pay for!“ Sie hallt aus den Tagen nach, als ich in London ein klassisches Luxushotel eröffnet habe. Wird sie Recht behalten – oder hat sich die Hotellerie ganz einfach verändert?

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1 Location

„Tower of London“ – die Adresse ist schwer zu toppen. Physisch trennt mich hier im Osten des historischen Bezirks City of London tatsächlich nur die Tower-Anlage von der Themse, der Tower Bridge und allen Touristenfallen, die dazugehören. Wer einen zentralen Ausgangspunkt für die Erkundung der City sucht, ist hier richtig. Doch „Location, location, location“ ist heute eben nicht mehr alles. Als mobiler Weltbürger beame ich mich schließlich mühelos von A nach B. Wenn ein neues Hotelkonzept mich begeistern will, muss es mir mehr bieten als die Top-Lage, die ich in den etablierten Premium-Häusern der Stadt auch haben kann: Savoy, Claridges, Ritz. Der große Unterschied: Im Citizen M bekomme ich sie schon für 100 bis 250 Euro die Nacht. Für etwa 15 Euro Aufpreis gibt es den Tower-Blick – das lohnt sich allemal. Bis hierher hält das Versprechen also stand: den Luxus einer 1a-Lage für weniger, als manches 2-Sterne-Hotel in dieser Stadt kostet.

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2 Ausstattung

Als ich mein Zimmer beziehe, wird allerdings schnell klar, wo hier gespart wurde: am Platz. Die Räume sind beinahe so beengt wie die Zellen in den Gewölben des Towers nebenan. In meinem rot-weiß dekorierten Kämmerlein fühle ich mich wie ein rosa Schweinchen in seiner Box. 14 Quadratmeter können erstaunlich klein sein, wenn man das Doppelbett und die Dusche mit hineindenkt. So beengt sind die Verhältnisse, dass nicht einmal mehr das Waschbecken in die Nasszelle gepasst hat. Deshalb wurde es kurzerhand in eine kleine Kommode direkt hinter der Eingangstür integriert. Einerseits ist durch die effiziente Einrichtung jeder Quadratmeter sinnvoll genutzt. Andererseits muss ich – als Mann mit einer Körpergröße von 1,92 Meter – die Badezimmertür öffnen, um mich beim Duschen ohne blaue Flecken aus- und wieder anzuziehen.

Rein vom Raumangebot ausgehend kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich in einem besonders schicken Budget-Hotel gelandet bin. Andererseits steht das Bett, aus dem das Zimmer letztlich im Wesentlichen besteht, in Größe und Qualität denen in mehrfach teureren Häusern in nichts nach. Ein Upgrade ist leider keine Option: Es gibt nur eine Zimmerkategorie. Auch auf einen Spa und ein Fitness-Studio muss ich verzichten – für viele anspruchsvolle Gäste dürfte allein das schon ein Ausschluss-Kriterium sein. Immerhin gibt es eine Kooperation mit dem Fitness-Studio nebenan, das ich als Gast nutzen kann.

Wer sich fragt, wo der ganze Platz hin ist, den die Grundfläche des Hotels suggeriert, findet seine Antwort in den öffentlichen Bereichen: Die Weltbürger der Marke Citizen M sollen sich offenbar nicht auf ihren Zimmern aufhalten, sondern zusammenkommen. Der Lobby-Bereich ist ausladend und wirklich cool gestaltet: Eine riesige Bibliothek mit Design-Büchern umgibt einen großzügigen Aufenthalts- und Gastrobereich. Hier lümmeln sich die Hipster dieser Welt in den obligatorischen (und käuflichen) Vitra-Möbeln und trinken sich notfalls den mangelnden Komfort ihrer Zimmer schön.

Den Vergleich mit den „echten“ Luxushotels einmal außen vor gelassen, muss ich den Schöpfern von Citizen M lassen, dass ihr Konzept als Hotspot für die vernetzte Weltbürgerschaft aufgeht: Hier ist richtig was los. Aus einem kurzen Abend allein wird ein langer Abend zu acht. Das ist nicht nur angenehm für einsame Vielreisende – es ist auch gut für den Umsatz

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3 Gastronomie

Im Gegensatz zum Zimmerkonzept kann mich das integrierte Gastro-Konzept namens Canteen M überzeugen: 24 Stunden am Tag ist für das leibliche Wohl gesorgt. Morgens gibt es frisches Gebäck, tagsüber leichte Lunches und abends schlicht-moderne Dinner – bei Bedarf auch in umgekehrter Reihenfolge. Beim Frühstück habe ich die Auswahl zwischen Continental und Full English, und für knapp 14 Pfund (17 Pfund ohne Vorausbuchung) ist immerhin auch der Kaffee vom Barista inklusive.

Die integrierte Bar führt ein Doppelleben: Tagsüber ganz den Bedürfnissen der notorisch Jetlag-geplagten koffeinsüchtigen Kontinenten-Knacker gewidmet, wird sie abends zur Cocktailbar. Das Getränke-Angebot ist üppig, die Preise für Londoner Verhältnisse fair. Die Auswahl an Bar-Snacks ist weitaus umfangreicher als in den meisten Hotelbars: von Salaten über anständiges Sushi und die obligatorischen englischen Sandwiches bis hin zu warmen englischen Klassikern ist alles verfügbar – außer einem Room Service. Allerdings hätte ich auf meinem Zimmer sowieso keinen Platz.

Im obersten Stockwerk findet sich eine weitere Bar, die exklusiv den Gästen vorbehalten ist: Cloud M. Hinter der vollverglasten Hotelfassade sitze ich gefühlt auf dem Tower of London, als ich am Abend einen trockenen Martini schlürfe. Während letzterer geschüttelt ist, bin ich gerührt: Der Blick über die berühmtesten Gebäude der Stadt ist ohne Übertreibung spektakulär. Mehr London sieht auch die Queen nicht, wenn sie aus dem Palastfenster über ihr Reich blickt.

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4 Service

Das Personal gleicht den Mangel an Optionen im Service durch maximale Flexibilität aus: Alle Mitarbeiter zeigen sich hochgradig gastorientiert. Ihr Job scheint multifunktional zu sein. Niemand weigert sich während meines Aufenthalts, mir einen Gefallen zu tun, nur weil er nicht in seine Zuständigkeit fällt.

Im Gegensatz zu den etablierten Luxushotels in der City ist hier nicht jeder Schritt in einem Prozess festgehalten, der im Zweifel auch einmal Vorrang vor dem Wunsch des Gastes hat.

Stattdessen wird im Citizen M einfach flexibel auf Gastbedürfnisse reagiert. Und das mit einem natürlichen, unverstellten Charme, der die Mitarbeiter zu einem echten USP des Citizen M macht. Hier treffe ich als Gast auf echte Charaktere – und zwar auf Augenhöhe. Junge, entspannte Kosmopoliten mögen diese Art von Gasterlebnis durchaus als luxuriöser empfinden als eine Eck-Badewanne aus Marmor.


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